138
Pitsche der Münchner Schäfflerzunft
München, spätes 18. oder 1. Hälfte 19. Jahrhundert |
Verschiedene Hölzer, geböttchert, farbig gefasst,
78,5x67x36cm | Bayerisches Nationalmuseum,
München (R 2648)
D
ie sehr große Kanne mit schnabelför-
migem Deckel ist aus in den baye-
rischen Landesfarben Weiß und Blau be-
malten Dauben gebunden – also hergestellt
in der Technik der Böttcher, Küfer, Fass-
binder oder, auf Bairisch, Schäffler oder
Binder. Die Darstellung zweier Löwen,
die mit Schäfflerschlegeln die Reifen eines
zwischen ihnen stehenden großen Fasses
anschlagen,weist auf eben dieses Handwerk
hin. Ein auf dem Fass stehendes gefülltes
Bockbierglas verrät die Bestimmung des
Werkstücks. Die fröhlich-bunte Erschei-
nung der Kanne ist als Ausdruck stolzer
Selbstdarstellung einer Schäfflerzunft zu
deuten. Um eine eigentliche Zunftkanne
handelt es sich jedoch nicht. Als zeremo-
nielles Trinkgefäß, als so genannter Will-
komm, der bei Zunftsitzungen oder bei
der Freisprechung von Lehrlingen zum
Einsatz kam, ist sie eindeutig zu groß. Für
eine Tischkanne wiederum, eine so ge-
nannte Schleifkanne, fehlt der Zapfhahn.
Außerdem sind Zunftkannen meist aus dem
hochwertigeren Zinn gefertigt und tragen
Inschriften, die Ort,Namen und Daten an-
geben.Vielmehr sind Kannen wie die hier
gezeigte seit 1825 in Bild und Schrift als
Requisiten des Münchner Schäfflertanzes
belegt und waren bis in die 1970er-Jahre in
Gebrauch. Sie stehen folglich weniger für
die intern zelebrierte Zunftherrlichkeit als
für die Selbstdarstellung der Zunft in der
Öffentlichkeit. Der heute alle sieben Jahre
aufgeführte Tanz der Münchner Schäffler
soll auf eine Pest des Jahres 1517 zurück-
gehen, die allerdings von Historikern an-
gezweifelt wird.
Die Kanne aus dem Bayerischen Na-
tionalmuseum stammt aus dem Besitz des
Bildhauers Lorenz Gedon (1843–1883), eine
der prägenden Münchner Künstlerpersön-
lichkeiten der zweiten Hälfte des 19. Jahr-
hunderts. Er konzipierte unter anderem
bedeutende historistische Atelier- und
Saloneinrichtungen, die mit Kunstwerken
und opulenten Schauobjekten geradezu
überladen waren. Berühmt waren auch die
kostümierten Künstlerfeste in München,
bei denen Gedon eine treibende Kraft war.
Möglicherweise hat er die Kanne von den
Schäfflern erworben, um sie in vergleich-
baren Zusammenhängen einzusetzen.
S.W.
Lit.:
Eikelmann, Handbuch, S.315; Gedon, Lorenz Gedon;
Kampfhammer u.a., Schäfflertanz
Der berühmte Tanz
der Münchner Schäffler ist erstmals für
das Jahr 1702 nachgewiesen.
138
306
bier in bayern