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Pitsche der Münchner Schäfflerzunft

München, spätes 18. oder 1. Hälfte 19. Jahrhundert |

Verschiedene Hölzer, geböttchert, farbig gefasst,

78,5x67x36cm | Bayerisches Nationalmuseum,

München (R 2648)

D

ie sehr große Kanne mit schnabelför-

migem Deckel ist aus in den baye-

rischen Landesfarben Weiß und Blau be-

malten Dauben gebunden – also hergestellt

in der Technik der Böttcher, Küfer, Fass-

binder oder, auf Bairisch, Schäffler oder

Binder. Die Darstellung zweier Löwen,

die mit Schäfflerschlegeln die Reifen eines

zwischen ihnen stehenden großen Fasses

anschlagen,weist auf eben dieses Handwerk

hin. Ein auf dem Fass stehendes gefülltes

Bockbierglas verrät die Bestimmung des

Werkstücks. Die fröhlich-bunte Erschei-

nung der Kanne ist als Ausdruck stolzer

Selbstdarstellung einer Schäfflerzunft zu

deuten. Um eine eigentliche Zunftkanne

handelt es sich jedoch nicht. Als zeremo-

nielles Trinkgefäß, als so genannter Will-

komm, der bei Zunftsitzungen oder bei

der Freisprechung von Lehrlingen zum

Einsatz kam, ist sie eindeutig zu groß. Für

eine Tischkanne wiederum, eine so ge-

nannte Schleifkanne, fehlt der Zapfhahn.

Außerdem sind Zunftkannen meist aus dem

hochwertigeren Zinn gefertigt und tragen

Inschriften, die Ort,Namen und Daten an-

geben.Vielmehr sind Kannen wie die hier

gezeigte seit 1825 in Bild und Schrift als

Requisiten des Münchner Schäfflertanzes

belegt und waren bis in die 1970er-Jahre in

Gebrauch. Sie stehen folglich weniger für

die intern zelebrierte Zunftherrlichkeit als

für die Selbstdarstellung der Zunft in der

Öffentlichkeit. Der heute alle sieben Jahre

aufgeführte Tanz der Münchner Schäffler

soll auf eine Pest des Jahres 1517 zurück-

gehen, die allerdings von Historikern an-

gezweifelt wird.

Die Kanne aus dem Bayerischen Na-

tionalmuseum stammt aus dem Besitz des

Bildhauers Lorenz Gedon (1843–1883), eine

der prägenden Münchner Künstlerpersön-

lichkeiten der zweiten Hälfte des 19. Jahr-

hunderts. Er konzipierte unter anderem

bedeutende historistische Atelier- und

Saloneinrichtungen, die mit Kunstwerken

und opulenten Schauobjekten geradezu

überladen waren. Berühmt waren auch die

kostümierten Künstlerfeste in München,

bei denen Gedon eine treibende Kraft war.

Möglicherweise hat er die Kanne von den

Schäfflern erworben, um sie in vergleich-

baren Zusammenhängen einzusetzen.

S.W.

Lit.:

Eikelmann, Handbuch, S.315; Gedon, Lorenz Gedon;

Kampfhammer u.a., Schäfflertanz

Der berühmte Tanz

der Münchner Schäffler ist erstmals für

das Jahr 1702 nachgewiesen.

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