Mongia Müller
„Mein Vater hat bloß zu mir gesagt: „Zu dir habe ich Vertrauen, aber ob du das schaffst, dort zu leben, das ist dein Problem. Wirst sehen, das schaffst du doch nicht.“
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Mongia Müller, geb. Souiadi, kam 1948 in Henchir Tella in Tunesien zur Welt. Ihr Vater war Staatsbediensteter, ihre Mutter Hausfrau; sie starb früh. Die Familie hatte ein wunderbares Haus mit einem großen Garten, in dem sich Mongia gerne aufhielt. Während ihre Schwestern auf das Gymnasium gehen durften, erhielt Mongia ihre Schulbildung zu Hause in Form von Privatunterricht. Anschließend begann sie eine Ausbildung als Sozialhelferin. Bald musste sie feststellen, dass sie mit 20 Dinar pro Monat, die sie in diesem Beruf verdienen würde, ihren Lebensunterhalt nicht finanzieren könnte. Beim Friseur hörte sie dann die verlockende Durchsage: „Wir suchen junge Mädchen für gute Arbeit in Deutschland.“ 70 Dinar Monatslohn wurden ihnen in Aussicht gestellt. Mongia meldete sich bei der Anwerbestelle und konnte zwischen Regensburg, Berlin und München wählen. Ihre Entscheidung fiel auf München, da sie dieses Wort behalten hatte und von den drei Orten ohnehin keinerlei Vorstellung hatte. Mongias Vater, der zunächst gegen ihren Weggang war und ihr prophezeite, sie würde das nicht schaffen, unterschrieb schließlich die erforderlichen Genehmigungen.
Am 21. September 1969 kam Mongia in München an. Wie es ihr Vater vorhergesehen hatte, war der Sprung in eine andere Kultur am Anfang sehr schwierig: Sie musste darauf achten, kein Schweinefleisch zu essen, sie hatte Angst, die ungewohnte Milch zu trinken und fühlte sich völlig fremd. Als sie im Wohnheim von einer Mitbewohnerin bestohlen wurde, war sie so getroffen, dass sie vor lauter Heimweh nur noch eines wollte: zurück nach Tunesien. Doch ihr Arbeitgeber, die Firma Siemens, stellte sich quer und pochte auf die Erfüllung des Arbeitsvertrags. Mongia blieb und flocht weiter Speicherkerne. Die Arbeit erforderte großes Geschick, denn die dünnen, verschiedenfarbigen Drähte mussten exakt zusammengesteckt werden und durften nicht brechen – und das bei hohem Arbeitstempo. Im April 1972 wechselte Mongia zu Rohde & Schwarz in München, wo sie bis April 1978 mit der Herstellung von Elektronikchips für Flugzeuge beschäftigt war.
Im Juni 1971 lernte Mongia in einer Gaststätte Manfred kennen, der großes Interesse an ihr zeigte. Mongia hatte zuerst Angst, er würde sie abschleppen, doch er entpuppte sich als solide: „Ich bin Polizist, Du musst keine Angst haben!“ Sie verabredeten sich, künftig gemeinsam von der Arbeit heimzufahren, lernten sich besser kennen und verliebten sich ineinander. Ihren eigentlichen Plan, im August 1971 für immer zurück nach Tunesien zu gehen, gab Mongia rasch auf. Durch die Bekanntschaft mit einem deutschen Mann lernte sie schneller und besser Deutsch und sie fühlte sich nun auch geborgen und aufgehoben. 1972 bezog sie ein eigenes Einzimmerappartement. Manfred sah sie nur am Wochenende und auch wenn sie bei ihm übernachtete, legte sie größten Wert darauf, in getrennten Zimmern zu schlafen und verschloss ihre Tür.
1973 zogen die beiden zusammen, am 8. Mai 1975 heirateten sie in Tunesien nach islamischem Ritus, nachdem Manfred zum Islam konvertiert war. Bei der Prüfung durch den Mufti sagte er das Fünfgebet – um nichts zu vergessen – so schnell auf, dass der Mufti befand: „Das ist ein guter Moslem!“ Da die Heirat in Deutschland nicht anerkannt wurde, heirateten Mongia und Manfred am 14. Oktober 1975 in München standesamtlich. Die Schwiegermutter akzeptierte Mongia sofort, nur eine von Manfreds Tanten hatte etwas gegen Ausländer. Im Bekanntenkreis gab es keine Probleme, auch wenn Manfreds Arbeitskollegen ihn mit der Frage konfrontierten, ob er denn keine Deutsche gefunden habe.
Als 1976 die erste Tochter zur Welt kam, wollten Mongia und Manfred nach Tunesien gehen, ein Haus am Meer kaufen und ein Café eröffnen. „Dort haben wir immer Sonne!“, dachten sie. Doch das tunesische Konsulat machte Schwierigkeiten, Manfred hätte Arabisch und Französisch beherrschen müssen. So blieb die junge Familie in München, wo 1982 die zweite Tochter zur Welt kam.
Mongia fühlt sich heute in Deutschland zu Hause, reist aber gerne und regelmäßig nach Tunesien. Doch heute gilt sie dort nicht mehr als Tunesierin, sondern als „die von drüben“ und hat auch mit Sprach- und Verständigungsschwierigkeiten zu kämpfen. Für die tunesische Revolution von 2010 hat Mongia einerseits Verständnis, andererseits habe die Hoffnung auf mehr Freiheit getrogen, denn während man sich früher frei bewegen konnte, gewännen nun Fundamentalisten und Islamisten immer mehr an Bedeutung und versuchten, das Alltagsleben mit rigiden Vorschriften für Kleidung und Verhalten zu beeinflussen.