lichungen, Plakataktionen,Versammlungen,Vortrags-
abende und Ausstellungen dann auf mehr Resonanz.
Eine spürbare Entspannung in der Alkohol- und Bier-
frage brachte die Notzeit des Ersten Weltkriegs, als
aufgrund der Lebensmittelknappheit nur mehr Dünn-
bier gebraut wurde.
Unterstützung erhielten die Antialkoholikervereine
von Professoren der Universität München. Allen vor-
an die Mediziner klärten Studenten und Öffentlichkeit
in Vorträgen und Broschüren wie „Die studierende
Jugend und die Alkoholfrage“ oder „Der Alkohol ein
Volksgift“ (beide 1895) über die Schäden auf, welche
das Zellgift Alkohol im menschlichen Körper anrichtet.
Der Hygieniker Hans Buchner (1850–1902) entlarvte
den Ruf des Biers als Kraftspender und Nahrungsmittel
als „eine der verhängnisvollsten Lügen undThorheiten,
die je von Menschen erdacht wurden“, und verurteil-
te die studentischen Trinksitten als „Ueberreste des
Mittelalters“. Auch der Pathologe Otto von Bollinger
(1843–1909) rückte das Bier in den Fokus der Aufmerk-
samkeit: „Am schlimmsten und in erster Linie wirkt
der fortgesetzte übermässige Biergenuss auf eines der
edelsten und wichtigsten Organe, auf das Herz,welches
bei Biertrinkern erheblich vergrössert und erweitert
angetroffen wird.“
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Bollinger stützte sich dabei auf
Sektionsbefunde aus der Pathologie in München. So
seien bereits in den ersten sechs Wochen des Jahres
1895 nicht nur siebenTodesfälle zu beklagen gewesen,
die direkt auf übermäßigen Bierkonsum zurückzu-
führen seien, sondern zusätzlich weitere Fälle, in de-
nen das Bier indirekt zum Tod geführt habe, etwa als
Ursache für tödlich verlaufene Stürze und Schwächun-
gen des Immunsystems. Die von Bollinger entdeckten
Herzvergrößerungen gingen in die Medizingeschichte
unter dem populären Begriff „Münchner Bierherz“ ein.
Bollingers Kollege Carl Brendel (1835–1919) zeichnete
ein düsteres Bild der Zukunft: Die deutsche Kultur
werde unter- und ihre letzte Phase als „Alkoholperio-
de“ in die Geschichtsbücher eingehen.Den Deutschen
sei ein „ganz besonderer Durst anerzogen“, jedoch
seien die Folgen nirgendwo so deutlich zu spüren wie
in München, dem „Centrum des Bierconsums“. Einen
Hauptverantwortlichen machte der Mediziner in der
Bierindustrie aus: „Die Aktienbrauereien ertränken
dieWelt im Bier.“
9
Mit Beginn des 20. Jahrhunderts setzte ein Rückgang
des Bierkonsums ein, der – nicht zuletzt bedingt durch
die beiden Weltkriege – bis in die 1950er-Jahre an-
hielt. Mit dem gestiegenen Wohlstand erreichten die
Bayern um 1975 mit rund 230 Litern pro Kopf und
Jahr annähernd wieder die historische Höchstmarke.
Der anschließende Abwärtstrend ist zum einen auf
die nun zur Verfügung stehende große Vielfalt an Ge-
tränken zurückzuführen, zum anderen aber auch auf
ein gestiegenes Gesundheitsbewusstsein.Wenngleich
sich der heutige Pro-Kopf-Verbrauch an Bier – schät-
zungsweise stehen 145 Litern in Bayern 105 Liter in
Deutschland gegenüber – vergleichsweise beschei-
den ausnimmt, ist die Verklärung hohen Bierkonsums
nach wie vor ungebrochen,wie ein Blick auf Party-Ar-
tikel, wie „Beer Bong“ oder „Bier-Shooter“, Fun-Shirts
mit Aufdrucken wie „Bierquälerei – Echte Männer trin-
ken keineAlkopops“ oder „Staatlich geprüfter Biertrin-
ker. Durch polizeiliche Alkoholkontrollen bestätigt“
oder Online-Wettbewerbe wie „Social Beer Game“
offenbart.
Anmerkungen
1
Lexer, JohannesTurmair´s genannt Aventinus Bayerische Chronik,
Bd.1, S.42
2
Physikatsbericht aus Straubing, zitiert nach Huber, Beschreibung, S.66
3
Physikatsbericht aus Bissingen, zitiert nachWilli, Bier, S.72
4
Physikatsbericht aus Nürnberg, zitiert nach Loos, Physikatsberichte,
S.553
5
Bronner, Franz Josef:Von deutscher Sitt’ und Art.Volkssitten und
Bräuche in Bayern und den angrenzenden Gebieten, München 1908,
S.223, zitiert nach: Bauer, Mythos Bayern, S.109
6
Baudissin,Wolf von und Eva von: Spemanns goldenes Buch der Sitte,
Berlin 1913, S.224, zitiert nach Schrott, Korsett, S.250
7
Welcher, Benno:Versuch einer Geschichte der Domgruppe (München I)
im Kreuzbund abstinenter Katholiken (Ms. masch.Archiv des Caritas-
verbands der Erzdiözese München und Freising e.V.,
AR
436), S.1 und 4
8
Die studierende Jugend und die Alkoholfrage.Vorträge gehalten in
der Aula d. Kgl. Universität München von Prof. Dr. Bollinger,
Prof. Dr. Buchner, Prof. Dr. M. Haushofer unter demVorsitze des
Geheimrat Prof. Dr. M. v. Pettenkofer, hg. vom DeutschenVerein gegen
den Mißbrauch geistiger Getränke. Zweigverein München, München
1895, S.9 und 16
9
Der Alkohol ein Volksgift.Vortrag gehalten am 9. März 1894 in der
Anthropolog. Gesellschaft in München von Dr. med. C. Brendel,
hg. vom Deutschen Verein gegen den Mißbrauch geistiger Getränke.
Zweigverein München, München 1895, S.1, 3, 5, 7
Lit.:
Dippold, Kraftspender; Krauss,Alkoholkonsum;Tappe,Alkoholkultur;
Willi, Bier
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bier in bayern