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„Vier Bilder aus einem Trinkerleben/Wirkung des Alkohols“
Aus:Anna Fischer-Dückelmann, Die Frau als Hausärztin. Ein ärztliches Nachschlagebuch
der Gesundheitspflege und Heilkunde in der Familie mit besonderer Berücksichtigung der
Frauen- und Kinderkrankheiten, Geburtshilfe und Kinderpflege, 2., vermehrte und
verbesserte Jubiläums-Pracht-Ausgabe, Stuttgart: SüddeutschesVerlags-Institut 1905 |
Buchdruck, 16x24cm | Haus der Bayerischen Geschichte, Augsburg
V
or allem mit Blick auf das Wohl der
Familie prangerte die Ärztin Anna
Fischer-Dückelmann in ihrer erstmals
1901 veröffentlichten Schrift „Die Frau als
Hausärztin“ den Alkoholkonsum der Ehe-
männer an. Das Buch, von dem bis in die
1970er-Jahre in rascher Folge Neuauflagen
erschienen, erwies sich als Dauerbrenner
mit einer Gesamtauflage von rund drei-
einhalb Millionen Exemplaren. Dieser Er-
folg war nur möglich, weil der Text neuen
medizinischen Erkenntnissen ebenso wie
dem jeweiligen Zeitgeist angepasst wurde.
Die Autorin Anna Fischer-Dückelmann
(1856–1917) bekämpfte den Genuss alko-
holischer Getränke aus einer Vielzahl von
Gründen, am wichtigsten waren ihr jedoch
die sozialen. Frauen und Kinder sollten vor
den verderblichen Einflüssen der modernen
Zivilisation geschützt werden. Ein großes
Problem sah Fischer-Dückelmann in den
Männern, die dem Alkohol fern des häus-
lichen Herdes frönen, dafür das Geld durch-
bringen und Frau und Kinder im Rausch
misshandeln. Auch für Erbschäden über
Generationen hinweg machte man lange
Zeit übermäßigen Alkoholkonsum verant-
wortlich. Die „Bilder aus einem Trinker
leben“ sollten zur Abschreckung dienen
und die Leserinnen dazu anhalten, ihr
Möglichstes gegen den Alkoholkonsum zu
unternehmen. Bier lehnte Fischer-Dückel-
mann als „gefärbtes Wasser mit … gefähr
lichem Nervengift“ vollkommen ab.
Nach dem Tod der Autorin gab der
Verlag die Überarbeitungen in die Hän-
de verschiedener (männlicher) Ärzte und
Heilpraktiker und so wich die an dem
mütterlichen Feminismus Fischer-Dückel-
manns orientierte Sicht auf den Alkohol
zunehmend einer medizinisch begründe-
ten Beurteilung, die die individuellen Fol-
gen des Alkoholmissbrauchs ins Zentrum
stellte. Gegen das Bier führte man nun
neben dem Alkoholgehalt auch die Kalo-
rienzahl ins Feld mit Folgen wie Überge-
wicht und krankhaften Herzerweiterun-
gen, die als „Münchener Bierherz“ bekannt
wurden (vgl. Kat.-Nr.087).
D.O.
Lit.:
Meyer, Physiatrie; Oels, Bestseller
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Alkoholismus war und ist nicht nur
ein medizinisches, sondern auch ein soziales Problem,
das alle Gesellschaftsschichten betrifft.
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bier in bayern