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bier in bayern
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Fernsprechwandapparat OB 99
Nürnberg, 1904 | Fa. Friedrich Heller |
Holz, Metall,Textilien, Ebonit, 80x36x26cm,
Gewicht 8,5 kg | Museumsstiftung Post und
Telekommunikation/Museum für Kommunikation
Frankfurt (4.2006.371)
D
as (Dorf-)Wirtshaus war und ist nicht
nur ein Ort rückwärtsgewandter Be-
schaulichkeit; es stand häufig auch für In-
novationen. So schafften viele Wirtsleute
Telefon und Fernseher zu einer Zeit an, als
sich noch nicht jeder solche Geräte für zu
Hause leisten konnte.
Als die ersten städtischenTelefonnetze
1882 in München und 1885 in Nürnberg-
Fürth eröffnet wurden, waren Brauereien
und Gasthäuser unter den Ersten, die das
neue,prestigeträchtige Kommunikationsme-
dium nutzten. Bis zur Jahrhundertwende
wurden Telefonapparate nur als Wandsta-
tionen gefertigt. Die einzelnen Bauteile –
Mikrofon,Wecker (Klingel), Hörer, Kur-
bel und Batteriekasten – waren auf einem
hölzernen Brett montiert. So konnten bei
Bedarf Teile leichter ausgetauscht und er-
neuert werden.Das Modell
OB
99 mit orts-
ständigen Batterien (
OB
) wurde ab 1899
von mehreren bayerischen Telefonfirmen
in großen Stückzahlen gefertigt und ent-
wickelte sich zu dem am weitesten verbrei-
teten Wandapparat.Vereinzelt waren diese
überaus langlebigen Apparate noch Anfang
der 1950er-Jahre in Gebrauch.
Um 1900 wurden zunehmend länd-
liche Regionen an das Telefonnetz ange-
schlossen; öffentliche Sprechstellen sorgten
dafür, dass auch Personen ohne eigenen
Anschluss telefonieren konnten. Ihre An-
zahl hatte sich von 1897 bis 1902 verdrei-
facht:von 295 auf über 1000. Solche Sprech-
stellen wurden auch in Gasthäusern ein-
gerichtet.
Selbst die Besucher des Oktoberfestes
mussten 1904 nicht mehr auf einenTelefon
anschluss verzichten: Das „Verordnungs-
und Anzeigeblatt für die Königlich Bayeri-
schen Verkehrs-Anstalten“ vermeldete am
17. September 1904, dass „für die Zeit vom
19. September bis mit 12. Oktober auf dem
Festplatze ein Postamt nebstTelegraphenan-
stalt mit Telephonbetrieb und öffentlicher
Telephonstelle eingerichtet (wird)“.
L.N.
Lit.:
Jörges/Gold,Telefone, S.89–94; Riedel, 120 Jahre
Telefon in Kulmbach; Rückblick
Das Wirtshaus war und ist auch ein Ort moderner
Errungenschaften: Mancher hat hier sein erstes Telefon
gespräch geführt und seinen ersten Fernsehbericht gesehen.
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