Den Schwerpunkt dieser Auswahl bilden Kirchenbauten Christoph (1655–1722) und Kilian Ignaz (1689–1751) Dientzenhofers in Böhmen. Die Baumeisterfamilie der Dientzenhofer stammt aus einem oberbayerischen Einödhof, dem ehemaligen „Guggenbichl“ oberhalb von St. Margarethen bei Brannenburg. Ihr Weg führte sie über Passau nach Prag, wo die Familie seit den 70er-Jahren des 17. Jahrhunderts urkundlich nachweisbar ist. Wie viele andere Bauhandwerker ließen sich die Dientzenhofer vermutlich auf der Kleinseite nieder. Da nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs die Bautätigkeit von Adel und Kirche in Böhmen enorm gestiegen war, gab es eine entsprechend große Nachfrage nach Bauhandwerkern und Baumeistern. Als die Dientzenhofer nach Prag kamen, waren in Böhmen und Mähren bereits mehrere italienische Baumeister tätig.
Wand, Pfeiler und Wölbung, also die einzelnen Elemente des Raums in ein besonderes Verhältnis zu bringen, ist die Kunst, mit der man die Aufgabe eines Architekten charakterisieren könnte. In der barocken Baukunst treten zu diesen bauprägenden Architekturelementen Dekorationssysteme aus Malerei, Stuck und Skulptur hinzu, welche zusammen mehr oder weniger verschmelzen und eine Einheit bilden. Dieses Verhältnis zwischen Architektur und Dekoration tritt an den Bauwerken der Dientzenhofer in unterschiedlichen Graden in Erscheinung.
So ist in der ehemaligen Klosterkirche der Klarissinnen St. Klara in Eger der Kircheninnenraum in reinem Weiß gehalten. Die einzelnen Architekturelemente – Pfeiler, Pilaster und Gebälkstücke – sind klar erkennbar und bilden ein kurviertes Gerüst, das den Raumabschluss, die Wölbung, vorbereitet. Nischen und Wandpfeiler, die sich rhythmisch abwechseln, verleihen dieser „Wandpfeilerhalle“ Eleganz und Schwerelosigkeit, wobei in diesem Rhythmus die äußere Wand nicht isoliert erscheint, sondern zusammen mit dem Architektursystem eine geschlossene Einheit bildet. Auch für den weniger geschulten Betrachter wird hier das architektonische Prinzip klar ablesbar und verstehbar.
Ähnlich wie in Eger ist in der Benediktinerklosterkirche St. Margarete in Prag-Břevnov ein rhythmisiertes Wandpfeilergerüst raumbildend. Auch wenn hier das Dekorationssystem reicher gehalten ist und eine Longitudinaltendenz des Raums vorherrscht, bleibt das Architektursystem deutlich erkennbar, betont durch eine feine Zeichnung und Profilierung der konkav und konvex ausschwingenden Gebälkzonen. Die Eleganz des architektonischen Details und die Klarheit im Ganzen charakterisieren zahlreiche Bauten Christoph und Kilian Ignaz Dientzenhofers und verleihen diesen Leichtigkeit.
Den Höhepunkt dieser kurvierten Architektur stellt die Prager Jesuitenkirche St. Niklas auf der Kleinseite dar. Hier verschmelzen Architektursystem, Malerei und Skulptur zu einem geschlossenen und durchdrungenen Baukörper. Bereits die Fassade beeindruckt durch weich fließende, konkav und konvex schwingende Gebälke und Säulenstellungen. Plastisch werden diese im Wechselspiel des Lichts eins mit einem fest in sich ruhenden Baukörper. Im Inneren setzt sich diese Bewegung bis hin zum Hochaltar fort. Im Gegensatz zu Eger und Prag-Břevnov herrscht hier ein reiches Dekorationssystem vor. Farbe und Material, Malerei und Bauglieder, Stuck und Gold heben die Grenzen zwischen Illusion und Wirklichkeit auf. St. Niklas auf der Kleinseite zählt zu den Höhepunkten hochbarocker Baukunst in Europa. Die Geometrie, die sich im Stil der Dientzenhofer-Bauten ausdrückt, war nicht als bloßes Spiel mit Ornamenten, als Selbstzweck verstanden, sondern sollte – wie eine Fuge von Bach – die religiös-geistige Ordnung der Welt anschaulich machen.

Christof Hangkofer
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