Previous Page  16 / 72 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 16 / 72 Next Page
Page Background

E

s ist kein Geheimnis, dass der Begriff „Reinheits-

gebot“ erst im frühen 20. Jahrhundert als Wort-

schöpfung aufkam

1

und der Sache nach die normative

Festlegung eines Reinheitsgebots für Bier in Bayern im

Jahr 1516 weder erstmalig erfolgte noch überhaupt in

Bayern erfunden worden ist. Zwei ebenso einprägsame

wie werbewirksam superlative Bavarismen entpupp-

ten sich also als zwar kraftvolle, aber eben doch bloß

als Mythen. Damit deutet sich an: Die Dinge liegen

komplizierter. Gesprochen wird deshalb nicht mehr

vom ältesten, sondern nur noch vom ältesten noch

geltenden Lebensmittelgesetz. In Bayern gilt es heu-

te

2

auch als Bundesrecht und folglich als „deutsches

Reinheitsgebot“, nämlich gemäß §9 des so genannten

Vorläufigen Biergesetzes. Dieser § 9 handelt von der

„Bierbereitung“ und bestimmt: „(1) Zur Bereitung von

untergärigem Bier darf, abgesehen von denVorschrif-

ten in den Absätzen 4 bis 6, nur Gerstenmalz, Hopfen,

Hefe und Wasser verwendet werden. (2) Die Bereitung

von obergärigem Bier unterliegt derselben Vorschrift;

es ist hierbei jedoch auch die Verwendung von ande-

rem Malz und die Verwendung von technisch reinem

Rohr-,Rüben- oder Invertzucker sowie von Stärkezu-

cker und aus Zucker der bezeichneten Art hergestell-

ten Farbmitteln zulässig …“

Ein bundeseinheitlich strenges Reinheitsgebot gilt also

gemäß Absatz 1 ohnehin nur für untergäriges Bier, bei

dem untergärige Hefen zwischen 4 und 9 Grad Celsius

vergären. Für obergäriges Bier des Absatzes 2, bei dem

obergärige Hefen den Malzzucker der Bierwürze zwi-

schen 15 und 20 Grad Celsius vergären, ist das strenge

Reinheitsgebot hinsichtlich Malz und Zuckerung ge-

lockert; was eigentlich „Bier“ überhaupt ist, wird im

Gesetz nicht definiert, sondern vorausgesetzt und an-

derweitig bezeichnungsmäßig präzisiert, nämlich in der

Bierverordnung

3

. Dieser aktuelle Stand der Dinge, für

den hier alle europarechtlichen und markenrechtlichen

Probleme ausgeklammert sein sollen, hat weder eine

geradlinige noch konfliktfreie Vorgeschichte.Man darf

das Reinheitsgebot aber angesichts seiner ungebroche-

nen Popularität und seiner allen Anfechtungen zum

Trotz zähen Verteidigung als Erfolgsgeschichte lesen.

Die Entstehung des Reinheitsgebots

In der Vorgeschichte zu 1516 spielen in Altbayern die

Kommunen die entscheidende Rolle. Sie waren es, die

für ihr Bier das Reinheitsgebot „erfanden“, wie es in

ihren Satzungen quellenmäßig greifbar wird: in Mün-

chen seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts

4

, in

Ingolstadt

5

1513 und Landshut

6

seit 1470. Auch die

Reichsstadt Regensburg wartete bald nach 1450 ver-

schiedentlich mit einem Reinheitsgebot auf 

7

und sei

hier exemplarisch für Reinheitsgebote außerhalb des

Herzogtums Bayern genannt.Das Bamberger Reinheits-

gebot von 1489 sorgte unlängst für Aufregung, letztlich

zu Unrecht, denn es galt nur für die Stadt Bamberg.

8

Das Reinheitsgebot von 1516

25

  Aufsätze