Als noch nachhaltiger als die Bierproduktion sollte
sich das bayerische Marketingkonzept „Bier – Idylle –
Gemütlichkeit“ erweisen, wie ich es provisorisch nen-
nen möchte. Damals wurde der Kanon der prägenden
Elemente und Instrumente konfiguriert und werbe-
wirksam präsentiert.Die wenigsten davon wurden neu
erfunden, darauf kommt es in der Werbung aber auch
nicht an. Die Bemühungen einiger Kulturhistoriker,
den Ursprung einzelner Utensilien außerhalb Bayerns
zu lokalisieren, erscheinen von daher recht marginal.
Manches lag auf der Hand und war, wie die Berge
und Seen, gar nicht zu übersehen und ohnehin schon
bekannt. Entscheidend war die Konstruktion des Sehn-
suchtsbildes und des konkreten Erlebnisangebots mit
den Ablegern der Bierpaläste und Ausschankstellen in
aller Welt – von Paris über London, von Chicago bis
nach Berlin. Hier wurde das Bedürfnis geweckt, das
Bierparadies in situ zu erleben.
Bis heute erscheint die damals entwickelte Strategie
prägend für den Erfolg Bayerns als Tourismusland
Nummer eins in Deutschland. Dem in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts gefundenen Kanon wurde
später kaum mehr etwas hinzugefügt: wesentlich nur
die Königsschlösser, die in dieser Zeit entstanden wa-
ren, aber erst später den großen touristischen Erfolg
erzielten. Gleiches mag für den Wintersport gelten,
der sich allerdings unter die Berge subsumieren lässt
und womöglich bald Geschichte sein wird. Erstaunlich
ist, dass man in München anscheinend das Bierimage
hinter der Weltstadt ein bisschen (!) zu verstecken be-
ginnt, obwohl sich als Magnet schlechthin nach wie
vor das Oktoberfest erweist, ebenfalls eine Erfindung
des 19. Jahrhunderts. Freilich, der wirtschaftliche Er-
folg als Hightechstandort kam erst jüngst zum bay-
erischen Kanon dazu, aber dafür interessieren sich
Touristen weniger. Von daher erweist sich das Marke-
tingkonzept der bayerischen Brauer als perfekte Wer-
bestrategie – lange vor der Erfindung des Marketings
und vor der Gründung der Werbeagenturen, die die
Erfindung „Bayern“ für sich in Anspruch nehmen.
Wenn jemand behaupten kann, er hätte Bayern erfun-
den, dann die Brauer und die von ihnen beauftragten
Künstler! Vergessen darf man dabei sicher nicht die
bayerischen Könige, ebenso die Literaten, einen Ludwig
Ganghofer oder einen LudwigThoma.Dann aber wird
die Auswahl derjenigen, die sich um die Begründung
des Bayernimages verdient gemacht haben, schon rar.
Profiteure gibt es dagegen zahllose.
Was bleibt abschließend zu sagen? Eigentlich braucht
es nur noch, Haindling Recht zu geben: Bayern und
das bayerische Bier gehören zusammen.Das Reinheits-
gebot hinkt dabei ein bisserl nach, aber es erhebt die
Qualität des bayerischen Biers in gesetzlichen Rang
und spielt in dieser Funktion in Selbstverständnis und
Marketing gerade wegen der Angriffe, denen es aus-
gesetzt ist, eine wichtige Rolle. Heuer ist es Anlass für
eine große Landesausstellung, die die Bedeutung des
Biers für Bayern in seinen regionalen Besonderheiten
und Vielschichtigkeiten aufzeigt, nicht in der Landes-
hauptstadt, sondern auf dem Land. Bayern ist eben
doch mehr als München und Bier.
Anmerkungen
1
Gömmel,Wachstum, S.80
2
Zum Folgenden vgl. Behringer, Spaten-Brauerei sowie Behringer,
Löwenbräu
3
Götschmann,Wirtschaftsgeschichte, S.228 zum Bischofshof – die 1908
errichtete Anlage war eine der modernsten Bayerns; vgl. auch Schieder,
Brauereiarchitektur; Bach, Dietl-Brauerei
4
Riepertinger u.a., Bayern – Böhmen, S.304 f.
5
Vgl. Statistisches Jahrbuch für das Königreich Bayern 12 (1913): Einer
Jahresproduktion von gut 19 Millionen Hektolitern untergärigem Bier
standen nur annähernd 200000 Hektoliter obergäriges Bier gegenüber.
6
Kuhlo, Industrie, S.54
7
Hlatky u.a., Österreichische Biere, S.27; Jetschgo u.a., Industrie-
geschichte, S.252ff.
8
Vgl. hierzu Koll, Gscherte Lackln
9
Hofer, Gabriel von Seidl; Gabriel von Seidl
10
Statistisches Jahrbuch 12 (1913), S.174: zweitplatziert in Bayern
übrigens Lindau mit rund 57000Touristen und 88000 Übernach-
tungen; für die aktuellen Zahlen vgl. die jährlichen Veröffentlichungen
der Landeshauptstadt München/Ref. für Arbeit undWirtschaft,
www.muenchen.de/rathaus/Stadtverwaltung(15.3.2016)
11
Kuhlo, Industrie, S.54; Zorn,Wirtschafts- und Sozialgeschichte, S.53
12
Kuhlo, Industrie, S.54
Abb. S.23:
Die Illustrationen im Aufsatzteil zeigen
Details aus dem Brauereimodell von 1928/29, das im Deutschen
Museum, München, aufbewahrt wird (vgl. Kat.-Nr.019).
Bier in Bayern, Mythos im Mythos?
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Einleitung