Aber sie macht einen freundlichen Eindruck auf den
Beschauer, der sich namentlich in den oberen Räumen
recht behaglich fühlt.“ Dagegen die Münchner Wür-
digung: Hier sei ein Stück Alt-München entstanden,
„wie es stimmungsvoller kaum noch erdacht werden
kann. Jeder Winkel, jede Nische spricht von liebevoller
Einfühlung in bayerischen Heimatgeist.“
Bayerischer Heimatgeist führte zu Heimatstil, in Per-
fektion umgesetzt durch die freie Restauration der
Tölzer Hauptstraße und die ebenso freie (Re-)Kons-
truktion des bayerischen Wirtshauses – zuerst prak-
tiziert 1894 beim „Bauerngirgl“ in der Münchner
Residenzstraße, außen neobarock, innen mit heute
beinahe schon als klassisch empfundener Ausstattung:
Kruzifix, Weihwassergefäß, Königsporträt, Hirsch-
geweihe, Holzvertäfelung. Die weiß-blauen Rauten
nicht zu vergessen, die ebenfalls über die Weltaus-
stellungen und den München-Tourismus als Symbol
nicht nur für Bayern, sondern für bierselige Gemütlich-
keit weltweit etabliert wurden.Neben den Bierpalästen
forderten die Münchner selbst die heimeligeWirtsstube,
in der sie aus dem Zeitalter der Nervosität, in die sie
nicht zuletzt der Bier-Tourismus geführt hatte, in die
Kopf-Idylle der Alt-Münchner Bierseligkeit flüchten
konnten.Wie schon angedeutet, wurde diese Wirts-
hausidylle stilprägend für die Gasthauseinrichtung weit
über Bayern hinaus bis in die unmittelbare Nachkriegs-
zeit und heute wieder.
Wie unglaublich erfolgreich diese Werbestrategie für
München war, zeigt sich schon daran, dass die bayeri-
sche Landeshauptstadt 1912 als unumstrittene Nummer
eins in Deutschland auf etwa 600 000Touristen pro Jahr
zusteuerte.Heute werden nahezu sieben Millionen ge-
zählt, allerdings bei einer deutlichen Vervielfachung der
potenziell weltweit erreichbaren touristischen Kund-
schaft.
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Von diesem gewaltigen Andrang profitierte
zunächst nur die direkte Umgebung Münchens, so
die ebenfalls am Ende des 19. Jahrhunderts erfundene
typische Ausflugsgaststätte und natürlich das oberbay-
erische Alpenvorland.Touristische Größen aus eigener
Kraft stellten Augsburg und Nürnbergals „altdeutsche
Städte“ dar – übrigens mit stetig wachsendem Aus-
schank von Münchner Bieren. 1912 wurde verkündet –
möglicherweise in bayerischer Überschwänglichkeit
etwas überschäumend –, dass zehn Prozent des welt-
weit gebrauten Biers in Bayern hergestellt werde, oder
werbewirksam umformuliert, jedes zehnte in der Welt
getrunkene Bier aus Bayern stamme.
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In härteren Zah-
len sieht das Ganze folgendermaßen aus:
1912 wurden in Bayern 20 Millionen
Hektoliter gebraut,
das war ein knappes Drittel der
gesamten deutschen Produktion.
Von der bayerischen Produktion gingen
2 Millionen Hektoliter ins restliche
Deutschland und 0,5 Millionen Hektoliter
ins Ausland.
Damit stammte die Hälfte des
aus Deutschland exportierten
Biers aus Bayern,
sieben Achtel der bayerischen Produktion
wurden aber in Bayern getrunken,
woraus sich ein bayerischer
Pro-Kopf-Verbrauch
von 270 Litern errechnete –
mehr als das Dreifache des Pro-Kopf-
Bierkonsums in Norddeutschland.
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Werbemarke, Julius Ussy Engelhard (1883–1964),
München, 1913
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bier in bayern