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Ludwig der Bayer – Der Kaiser aus dem HausWittelsbach
„Jetzt, Schreiber, schärfe deinen Geist, denn ein schwe-
res Stück Arbeit harrt deiner, willst du schildern den
langen und langsamen Flug eines gewaltigen Adlers.“
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Mit diesem eindrucksvollen Hinweis auf das Bild des
in allen Epochen der Kulturgeschichte vorbildhaften
Wappentiers leitete der Geschichtsschreiber Matthi-
as von Neuenburg seinen Bericht über die Regierungs-
zeit des ersten Königs und Kaisers aus dem bayeri-
schen Haus Wittelsbach, Ludwigs des Bayern, ein.
Und er führt den Vergleich fort: „… eines gewaltigen
Adlers, der töricht zugleich und klug, achtlos und sor-
genvoll, träge und ungestüm, niedergeschlagen und
heiter, kleinmütig und tapfer, bei allem Unglück doch
glücklich noch aufstieg, als ihm die Flügel schon ver-
sengt waren.“ Matthias von Neuenburg baut in dieser
Einleitung zu einem neuen Abschnitt seiner Ausfüh-
rungen eine sehr gekonnte Antithesenkette auf. Dieser
literarische Kunstgriff sollte letztlich seine Ratlosig-
keit überdecken, denn die Darstellung der Regierungs-
zeit des Wittelsbachers bereitete ihm Schwierigkeiten:
Er wusste nicht, was er von diesem ungewöhnlichen
Reichsoberhaupt aus dem Haus Wittelsbach halten
sollte.
Mit dieser Ratlosigkeit stand Matthias von Neuen-
burg keineswegs allein. Der nämliche Zwiespalt ent-
zweite schon die Zeitgenossen. Bereits zu Lebzeiten
des Kaisers traten sich begeisterte Anhänger und nicht
minder scharfe Gegner gegenüber. Diese konträren Ur-
teile der Zeitgenossen bedingten eine ähnliche Unsi-
cherheit der Nachwelt. Im Grunde trat immer eine
positive Sicht der Landsleute einem recht einhelligen
außerbayerischen Verdikt gegenüber.
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Dieser Dissens
dauert bis in die Gegenwart an. In unseren Tagen steht
für den nach wie vor unaufgelösten Widerspruch ei-
nerseits das Urteil des „Handbuches der bayerischen
Geschichte“, das die Regierung Ludwigs IV. als „Hö-
hepunkt der bayerischen Geschichte im Mittelalter“
einstuft.
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Diese Bewertung stößt andererseits auf den
unverkennbaren Vorbehalt der maßgeblichen Biogra-
fie aus der Feder des Rheinländers Heinz Thomas, der
derartige Hochschätzung als Überschätzung ansieht
und wesentlich größere Zurückhaltung anmahnt.
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Die
von Matthias von Neuenburg angesprochene Ratlosig-
keit hat also auch in der Gegenwart Gültigkeit.
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Die-
sem Problem gelten die folgenden Überlegungen. Sie
werden in fünf Punkten bei den entscheidenden Akti-
onsfeldern Ludwigs ansetzen und versuchen, von da-
her seiner Persönlichkeit und seiner Politik näherzu-
kommen.
Alois Schmid
Ludwig der Bayer –
Der Kaiser aus dem Haus Wittelsbach