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Alois Schmid
letztlich stand ihr der wittelsbachische Landesherr nä-
her als die ferne Papstkurie unter ungeliebtem franzö-
sischen Einfluss. Als Gegenleistung stärkte der große
Marienverehrer
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ihre Stellung entscheidend.
Bewegte sich also Kaiser Ludwig im zentralen
Punkt des Verhältnisses zur Kirche auf traditionel-
len oder modernen Bahnen? Gewiss wurden mit die-
sem „last struggle“
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zum Teil alte Streitigkeiten zum
Abschluss gebracht, doch wurden in diesem Rahmen
auch zukunftweisende Gedanken vorgetragen und
Weichenstellungen vorgenommen, die sehr ungewöhn-
liche, neue Grundlagen zu legen suchten.
Die Kunst
Ludwig der Bayer entwickelte ein besonderes Verhält-
nis auch zur Kunst.
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Es war der wittelsbachische Kai-
ser, der sie als Hofkunst erstmals funktionalisierend
zur Untermauerung der Stellung des Reichsoberhaupts
einsetzte. Ludwig wollte durch den gezielten Rückgriff
auf die vielgestaltigen Ausdrucksmittel der Kunst seine
stets angegriffene Position kompensieren.
Als herausragender Beleg für diese Eigenheit wur-
de oft das bekannte Stifterrelief in der Münchner Hof-
kapelle St. Lorenz
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herangezogen. Der wittelsbachi-
sche König ließ sich zusammen mit seiner Gemahlin
bald nach der Verhängung des Kirchenbanns gerade in
dieser zentralen Herrschaftskirche als demütiger För-
derer der von der Gottesmutter repräsentierten Kirche
zur Darstellung bringen. Dabei wurde die Personalisie-
rung so weit getrieben, dass die Kunstwissenschaft ge-
rade aus diesem Bild Rückschlüsse auf die Individu-
alität des Wittelsbachers ableiten zu dürfen glaubte.
Entscheidende Sachkenner sprachen sich dafür aus,
dass die ungewöhnlich markanten Gesichtszüge des
Stifters mit der sehr ausgeprägten Augen- und Nasen-
partie, den hängenden Wangen und dem Doppelkinn
von einem Hofkünstler in Anlehnung an das tatsäch-
liche Aussehen des Königs gestaltet worden seien.
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Diese Deutung trifft sich mit der These der Kunstge-
schichtsforschung, dass gerade im Stifterbild die frü-
hesten Spuren individueller Personenzeichnung begeg-
nen. Für diese Feststellung scheint Ludwig der Bayer
ein besonders aussagekräftiges Beispiel zu sein. Tat-
sächlich berichten mehrere Chronisten von der auffal-
lend großen Nasenpartie, die auch das Münchner Stif-
terbild zeigt. Dieses kunstgeschichtliche Detail kann
hier durch eine chronikalische Aussage bestätigt wer-
den. Ein in manchem vergleichbares, wenig beachte-
tes Bilddokument findet sich in der Kirche des frühe-
ren Dominikanerinnenklosters auf dem Adlersberg.
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Im engsten Umkreis Ludwigs IV. wurde offensichtlich
die überkommene Topik in der Herrscherdarstellung
durch frühe Individualisierung zurückgedrängt.
Kein Vorgänger auf dem Reichsthron hatte die
Kunst in ähnlicher Weise eingesetzt. Natürlich hatte
sich mancher ebenfalls mit diesem Medium beschäf-
tigt und es gefördert. Bei Kaiser Ludwig erhält es aber
eine neue, eine politische Aufgabe, indem es zu einem
entscheidenden Träger staatlicher Herrschaft ausge-
baut und in der Formensprache entsprechend weiter-
entwickelt wird. Ungewöhnlich stark ist die Kunst auf
den Auftraggeber ausgerichtet. Die Nachfolger auf dem
Kaiserthron haben diesen Weg, der erstmals am Hof
Ludwigs des Bayern eingeschlagen wurde, fortgesetzt.
Die veränderte Funktionsbestimmung der Kunst
wirft natürlich die Frage nach den Grundlagen auf. In
der Person Ludwigs dürfen sie kaum gesucht werden.
Dafür war er ein viel zu sehr im Traditionellen verhaf-
teter Mensch. Die Anstöße müssen von außen gekom-
men sein. Man wird kaum fehlgehen, wenn man ent-
scheidende Impulse dem Italienzug von
1327
bis
1330
zuschreibt.
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In Italien, wo sich damals bereits die Kul-
tur der Frührenaissance entwickelte, war der Wittels-
bacher Hof mit einer ganz anderen Welt konfrontiert.
Diese hat ihn offensichtlich sehr fasziniert. In kulturel-
ler Hinsicht zerfällt die lange Regierungszeit Ludwigs
deutlich in die Phasen vor und nach dem Italienzug.
Das gilt auch für den Umgang mit und den Einsatz der
Kunst. Jacob Burckhardt hat in seinem Buch über „Die
Kultur der Renaissance in Italien“ die neue Vorstellung
des „modernen Ruhmes“ als entscheidendes Merkmal
herausgestellt.
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Dieser nunmehr allseits angestreb-
te „moderne Ruhm“ wird am ehesten durch den ge-
zielten Einsatz von Kunst und Kultur zur Begründung
und Sicherung der erhofften „memoria“ gewährleistet.
Dazu sollten auch die in Mode gekommenen Stifterbil-
der beitragen. Sie weisen auf das Zeitalter der Renais-
sance voraus, das in Italien bereits begonnen hatte.
In Deutschland sollte es noch ein volles Jahrhundert
dauern, bis die Anregungen aus dem Süden wirklich
Wurzeln schlugen. Ein sehr früher Weg des Transfers
war der Italienzug Kaiser Ludwigs, der zumindest für
dessen Herrschaftspraxis von kaum zu überschätzen-
der Bedeutung war und am Kaiserhof vielfache Neu-
erungen auslöste.
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Diese bewirkten in den
30
er- und
40
er-Jahren eine ungleich aufwändigere Selbstdarstel-
lung des Herrschers. Freilich war diese keineswegs von
nachhaltiger Wirkung. Nördlich der Alpen sollten vom
Prager Kaiserhof Karls IV. in der folgenden Generation
viel wirkungsvollere Impulse ausgehen.
Der letzte mittelalterliche Kaiser?
Ludwig der Bayer wird oft als der letzte Kaiser des Mit-
telalters bezeichnet. War er das wirklich? War Ludwig
ein mehr rückwärtsgewandter Herrscher, der lediglich
Traditionen zum Abschluss führte? Oder war er ein zu-
kunftweisender Herrscher, der neue Entwicklungen auf
den Weg brachte? Die Forschung gibt auf diese Haupt-
frage recht eindeutige Antworten, und zwar in erste-
rem Sinn. Sie hat zwischenzeitlich auch das
14
. Jahr-
hundert mit dem Etikett der Krise bedacht und setzt
um
1350
eine tiefe Zäsur an.
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Sie lässt oft mit Lud-
wig dem Bayern das Hochmittelalter endgültig aus-
klingen. Auch Andreas Kraus bezeichnet den wittels-