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Alois Schmid
gestellt.
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Mit Nachdruck trat der König hier als Ge-
setzgeber in Erscheinung
31
, der dem „crimen laesae
maiestatis“ neue Geltung verschaffte
32
. Der in den
realen Ressourcen eingeschränkte Throninhaber gab
sich Mühe, durch die Beschwörung der Reichstradition
seine Position ideell zu stärken. Vor allem in den Ini-
tialen und Siegeln seiner Prunkurkunden wurden die-
se Vorstellungen auch einprägsam ins Bild gesetzt.
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Empfänger vieler der nun oft auch in deutscher Spra-
che abgefassten Königsprivilegien waren die in Recht
und Wirtschaft gestärkten Reichsstädte.
Der Kaiser
Nach hochmittelalterlichem Vorbild hatte der König
bald nach seiner Erhebung die Kaiserkrone anzustre-
ben. Diese hatte bisher der Heilige Stuhl zu Rom ver-
liehen. Deswegen gehörte die Italienpolitik zu den un-
verzichtbaren Elementen der Kaiserpolitik.
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Ludwig
der Bayer bekannte sich zu dieser Tradition. In eige-
ner Verantwortung trat er den herkömmlichen Italien-
zug (
1327
–
1330
) an, ohne mit den Großen des Reichs
Rücksprache zu nehmen.
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Doch nahm dieser infolge
der Abwesenheit des Pontifex aus Rom einen völlig an-
dersartigen Verlauf. Seit
1309
residierte die Papstku-
rie in Avignon. Trotzdem bemühte sich Ludwig um die
Kaiserkrone am herkömmlichen Ort. Die Realitäten
erzwangen zum einen neue Modalitäten, zum ande-
ren eine neue ideelle Grundlegung. Die Einschaltung
des „populus Romanus“ und des Gegenpapstes Niko-
laus V. sowie der Rückgriff auf die laizistischen Gedan-
ken der antiken Heerkaiser stellten das Kaisertum auf
völlig neue Grundlagen.
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Die Neuerungen der Antikisierung und Profanie-
rung trafen mit einer pränationalen Bewegung zusam-
men. Der Wittelsbacher Kaiser war bestrebt, das auf
den Krönungsvorgang folgende Jahrzehnt, den Höhe-
punkt seiner Macht, zu nutzen, um die Mitsprache-
rechte der Kurie an der Kaisererhebung zurückzudrän-
gen. Der Kurverein von Rhense und das Königsgesetz
„Fidem catholicam“ machten
1338
die Bestimmung
des Reichsoberhaupts zu einer Angelegenheit aus-
schließlich der Deutschen, die künftig jede Einfluss-
nahme von außen zurückwiesen und dessen Vorrang
vor dem Papst betonten. Diese Neuerung wurde unter
Karl IV. dann im ersten großen Reichsgrundgesetz der
„Goldenen Bulle“ von
1356
in eine rechtlich verbindli-
che Form überführt und ein Jahrhundert später in der
Formel „Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation“
sehr treffend zusammengefasst.
Nach der Rückkehr aus Italien ging Kaiser Lud-
wig daran, die neu errungene Stellung mit allem
Nachdruck zur Geltung zu bringen. Nun setzen sei-
ne sehr ausgeprägten Bemühungen um Selbstdarstel-
lung und Selbstinszenierung ein. Sichtbarer Ausdruck
war die vielfältige Verwendung des Adler-Motivs zur
Stilisierung des Monarchen.
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In allen denkbaren Be-
reichen wurde der Vergleich des Wittelsbachers mit
dem herkömmlichen Bild des Adlers, einem imperia-
len Symbol, gesucht: Diplomatik, Sphragistik, Heral-
dik, Numismatik, Historiografie. Die eindruckvollste
Realisierung erfolgte
1338
auf der außergewöhnlichen
Reichsversammlung zu Koblenz, als der Besuch des
englischen Königs Edward III. anstand. Beim Festakt
wurden in gehöriger Abstufung der übergeordnete Kai-
ser, der ausländische König und die Reichsfürsten zu-
einander in viel sagende Beziehung gebracht. Zur Krö-
nung der Symbolik überflog schließlich ein Adler den
wohlgeplanten, sehr theatralischen Vorgang. Damit
ließ der wittelsbachische Kaiser die von ihm erwünsch-
te Herrschaftsordnung im Abendland wirkungsvoll in
Szene setzen.
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Mehrere seiner
16
Kinder wurden im
Sinne dynastischer Heiratspolitik zur Verstärkung die-
ser Beziehungsnetze herangezogen.
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Ludwig sah die Hauptaufgabe eines Kaisers darin,
sich als Mehrer des Reichs zu betätigen. Dieser An-
spruch lenkte, nachdem er in Italien nicht Fuß fassen
konnte, seinen Blick schließlich in den Osten, wo die
Ostkolonisation in vollem Gange war.
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Der wirkungs-
vollste Hebel dazu war der Deutsche Orden, als dessen
großer Förderer sich Ludwig der Bayer betätigte. Der
Deutsche Orden versprach, ohne großes eigenes En-
gagement, zu dem Ludwig, auch angesichts überstar-
ker Gegenaktivitäten aus Böhmen, Polen und Litau-
en, ohnehin nicht in der Lage war, Reich und Kirche
weiter nach Osten auszudehnen. In diesem Rahmen
wurde der Wittelsbacher mit zahlreichen Urkunden im
außerhalb des Reichs liegenden Baltikum, in Estland,
Lettland, Livland, tätig. Im Alten Hof zu München re-
sidierend, übergab er sogar russisches Gebiet an den
Deutschen Orden.
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Gewiss hat er damit seine Mög-
lichkeiten sehr überschätzt. Die Kaiserpolitik verlor
sich hier allmählich in Illusionen. Denn so weit reich-
te der Arm des Reichsoberhaupts nicht, auch wenn
es derartige globale Zuständigkeiten für sich in An-
spruch nahm. Grundsätzlich sah sich der Kaiser aber
im Sinne seines umfassenden Herrschaftsanspruchs
und -auftrags auch für diese fernen Räume zuständig.
Die Gelehrten an seinem Hof entwickelten dafür die
theoretischen Grundlagen. Die Kanzlisten begründe-
ten diese Ausgriffe über die Reichsgrenzen hinaus mit
der feinsinnigen Formulierung „ex auctoritate imperia
li“.
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Sie bestärkten ihn in diesen in das Illusionäre
führenden Gedanken. In Wirklichkeit war Ludwig in
der Kaiserpolitik weniger Agierender als vielmehr Re-
agierender, denn das Geschehen bestimmten andere,
neben der Kurie in zunehmendem Ausmaß das Haus
Luxemburg.
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Am Ende steht bekanntlich die Abwahl
Ludwigs im Jahr
1346
. Letztlich ist der Wittelsbacher
als Kaiser gescheitert.
Ludwig agierte also auf drei Ebenen: als Herzog, als
König, als Kaiser. Diese unterschiedlichen Handlungs-
bereiche standen in korrespondierender Beziehung zu-
einander: Die Territorialpolitik sollte eine tragfähige
Grundlage schaffen für ein möglichst glanzvolles Auf-