Zur freien Verfügung des Fürsten
Ein folgenreicher Befehl
 
Am Nachmittag desselben Tages saß der kurfürstliche Kommissär Maximilian von Ockel in seinem Zimmer im Gästehaus der Abtei. Er war ein pflichtbewusster Beamter, der seinen Auftrag, allen festen und beweglichen Besitz des Klosters zu inventarisieren und zu beschlagnahmen, gewissenhaft und korrekt ausführen würde. Noch einmal las er den Anfang des kurfürstlichen Befehls:
"Instruktionen, datiert vom 11. März, für die zur Besitznahme der Güter und des Vermögens sämtlicher ständischer Manns- und Frauenklöster der oberen alten Kurlande infolge des höchsten Reskripts vom 17. Hornung 1803 bestimmten kurfürstlichen Kommisarien ...
Vor allem werden den Kommisarien hiermit einige allgemeine Normen vorgezeichnet, wonach dieselben in Hinsicht
A. des Klosterpersonals
B. der vorhandenen Mobilien und
C. der bestehenden Realitäten und übrigen Vermögens
zu verfahren und welche sie hiernach gehörig anzuwenden haben ..."
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Dann folgten auf vielen Seiten Anweisungen, wie im einzelnen vorzugehen sei. Ockel wusste, dass da eine schwere Aufgabe auf ihn zukam. Von aller Arbeit einmal abgesehen, war der Abt als kämpferischer Dickschädel bekannt, der ihm sicher soviel Schwierigkeiten wie möglich machen würde. Aber er ließ sich davon nicht beeindrucken. So war nun einmal der Gang der Geschichte; die Zeiten änderten sich, und wer sich nicht anpassen konnte, der ging eben unter.
Mit der Revolution in Frankreich hatte es begonnen: Nachdem 1789 das Volk, der "Dritte Stand"; die Macht übernommen hatte, war es gleich auch der Kirche an den Kragen gegangen. Ihr gesamter weltlicher Besitz war verstaatlicht, alle Orden waren aufgelöst worden. Natürlich billigte Ockel keineswegs, dass die Franzosen ihren König abgesetzt und später gar hingerichtet hatten. Schließlich war er ein guter Beamter seines bayerischen Herrschers und damit jedem Umsturz abhold. Aber die Maßnahmen gegen die Kirche, die billigte er voll und ganz. Und jetzt hatte Napoleon, der neue französische Kaiser, der fast ganz Europa seinen Willen diktieren konnte, beschlossen, die deutschen Fürsten dafür zu entschädigen, dass er ihnen einen Teil ihrer Länder genommen hatte.
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Was lag da näher, als die vielen kleinen Herrschaftsgebiete in die größeren einzugliedern, sie zu mediatisieren, und den geistlichen Fürsten ihr Land zu nehmen, es zu säkularisieren? Freundlicherweise hatte Napoleon es den Deutschen sogar selbst überlassen, die Einzelheiten zu regeln; eine Reichsdeputation in Regensburg hatte dann im "Reichsdeputationshauptschluss", am 25. Februar 1803, in Napoleons Sinn entschieden: Die meisten Miniaturherrschaften, Reichsdörfer, Reichsstädte und Reichsritterschaften, wurden mediatisiert, fast alle geistlichen Fürstentümer wurden säkularisiert. Der bayerische Kurfürst konnte außerdem durchsetzen, dass auch alle Klöster an die weltlichen Herrscher, in deren Gebiete sie lagen, fallen sollten.
Mochte dabei auch die eine oder andere Härte nicht zu vermeiden sein, Bayern wurde dadurch stärker. Und er, Ockel, war aus vollem Herzen Bayer. Deshalb war er der festen Überzeugung, dass das, was er zu tun hatte, ein richtiger und wesentlicher Schritt in die Zukunft war. Es war doch ein Unding, dass die Klöster über 28 Prozent des gesamten Grundbesitzes im Lande verfügten! Sie übten dort ihre eigene Rechtsprechung, zogen ihre eigenen Steuern ein und hatten eine eigene Verwaltung. Das waren doch mittelalterliche Zustände!
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Der moderne Staat musste zentral organisiert sein, für alle musste die gleiche Rechtsprechung gelten, die Verwaltung musste einheitlich sein. Auch die gerechte Verteilung der Steuerlasten, die Einziehung und die Verwendung der Steuergelder war allein Sache des Staates. So stand es im Reformprogramm des kurfürstlichen Ministers Montgelas, und Ockel pflichtete ihm hundertprozentig bei. Nur auf diese Weise konnte sich der Staat seine umfangreichen Aufgaben erfüllen und Politik zum Wohle aller Untertanen betreiben.
Nach Ockels Verständnis, das er mit vielen seiner Zeitgenossen teilte, standen den Klöstern - wie der gesamten Kirche - weltliche Macht und Reichtum nicht zu. Sie sollten sich um das Seelenheil kümmern; in weltlichen Dingen hatten sie sich der Gewalt des Staates zu unterwerfen.
Wie aber sah die Realität aus? Sie verfügten über großen Besitz, regierten über Untertanen wie ein Fürst und hatten sogar ihre eigene Vertretung in der bayerischen Landstandschaft. "Wir von Gottes Gnaden" titulierten sich die Äbte immer wieder, obwohl das nur Seiner kurfürstlichen Durchlaucht zukam und ihnen schon seit vielen Jahren ausdrücklich verboten war. Was für eine Anmaßung! " Wer viel hat, kann viel verlieren", dachte Ockel, "jetzt verlieren sie alles."
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Auf Verbündete konnten die Klöster kaum noch hoffen. Denn vielen Menschen erschien das Mönchsleben nicht mehr zeitgemäß. Wo war da der Nutzen für die Gesellschaft? Vor etlichen Jahren schon hatte Montgelas eine Reform der Klöster verlangt, um sie stärker für das Wohl der Allgemeinheit einsetzen zu können, aber geschehen war kaum etwas. Und der Widerspruch: Hinwendung zu Gott einerseits und Streben nach Macht und Reichtum andererseits erregte ebenfalls viel Ärgernis.
Ockel runzelte die Stirn. Er war gespannt, welche Verhältnisse er hier in Benediktbeuern antreffen würde. Schon häufig hatte er nämlich gehört, dass es auch im Inneren der Klöster nicht zum besten stand, vor allem in den Mönchskonventen. Viele der Mönche standen wohl selbst nicht mehr hinter den alten Idealen von persönlicher Armut, von Gehorsam und Demut. Er konnte es ihnen nicht verdenken. Auch an ihnen war die Aufklärung nicht spurlos vorübergegangen. Aus ihren eigenen Reihen war immer wieder Kritik gekommen, am eintönigen Chordienst, an der Langeweile, die zum Alkoholmissbrauch führte, an der Einschränkung der persönlichen Freiheit. Die Ordensoberen hätten die Kritik ernstnehmen sollen. Nun war es zu spät. Er, Ockel, würde jedenfalls seine Pflicht erfüllen,
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auch Abt Klocker würde sich fügen müssen. Schließlich war diese Aufhebung nur ein kleiner Teil der umfassenden Säkularisation kirchlichen Besitzes und kirchlicher Rechte, die in Deutschland eben durchgeführt wurde.
Entschlossen stand er auf und klingelte. Dem herbeieilenden Diener befahl er, ihm seinen Sekretär zu schicken und außerdem einen Mönch zu holen. Der sollte ihn durch die Klosteranlage führen, damit er sich einen Überblick verschaffen konnte.
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