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Dann folgten
auf vielen Seiten Anweisungen, wie im einzelnen vorzugehen sei. Ockel
wusste, dass da eine schwere Aufgabe auf ihn zukam. Von aller Arbeit
einmal abgesehen, war der Abt als kämpferischer Dickschädel bekannt,
der ihm sicher soviel Schwierigkeiten wie möglich machen würde. Aber
er ließ sich davon nicht beeindrucken. So war nun einmal der Gang der
Geschichte; die Zeiten änderten sich, und wer sich nicht anpassen konnte,
der ging eben unter. Mit der Revolution in Frankreich hatte es begonnen: Nachdem 1789 das Volk, der "Dritte Stand"; die Macht übernommen hatte, war es gleich auch der Kirche an den Kragen gegangen. Ihr gesamter weltlicher Besitz war verstaatlicht, alle Orden waren aufgelöst worden. Natürlich billigte Ockel keineswegs, dass die Franzosen ihren König abgesetzt und später gar hingerichtet hatten. Schließlich war er ein guter Beamter seines bayerischen Herrschers und damit jedem Umsturz abhold. Aber die Maßnahmen gegen die Kirche, die billigte er voll und ganz. Und jetzt hatte Napoleon, der neue französische Kaiser, der fast ganz Europa seinen Willen diktieren konnte, beschlossen, die deutschen Fürsten dafür zu entschädigen, dass er ihnen einen Teil ihrer Länder genommen hatte.
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Was lag da näher,
als die vielen kleinen Herrschaftsgebiete in die größeren einzugliedern,
sie zu mediatisieren, und den geistlichen Fürsten ihr Land zu nehmen,
es zu säkularisieren? Freundlicherweise hatte Napoleon es den Deutschen
sogar selbst überlassen, die Einzelheiten zu regeln; eine Reichsdeputation
in Regensburg hatte dann im "Reichsdeputationshauptschluss", am 25.
Februar 1803, in Napoleons Sinn entschieden: Die meisten Miniaturherrschaften,
Reichsdörfer, Reichsstädte und Reichsritterschaften, wurden mediatisiert,
fast alle geistlichen Fürstentümer wurden säkularisiert. Der bayerische
Kurfürst konnte außerdem durchsetzen, dass auch alle Klöster an die
weltlichen Herrscher, in deren Gebiete sie lagen, fallen sollten. Mochte dabei auch die eine oder andere Härte nicht zu vermeiden sein, Bayern wurde dadurch stärker. Und er, Ockel, war aus vollem Herzen Bayer. Deshalb war er der festen Überzeugung, dass das, was er zu tun hatte, ein richtiger und wesentlicher Schritt in die Zukunft war. Es war doch ein Unding, dass die Klöster über 28 Prozent des gesamten Grundbesitzes im Lande verfügten! Sie übten dort ihre eigene Rechtsprechung, zogen ihre eigenen Steuern ein und hatten eine eigene Verwaltung. Das waren doch mittelalterliche Zustände!
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Der moderne
Staat musste zentral organisiert sein, für alle musste die gleiche Rechtsprechung
gelten, die Verwaltung musste einheitlich sein. Auch die gerechte Verteilung
der Steuerlasten, die Einziehung und die Verwendung der Steuergelder
war allein Sache des Staates. So stand es im Reformprogramm des kurfürstlichen
Ministers Montgelas, und Ockel pflichtete ihm hundertprozentig bei.
Nur auf diese Weise konnte sich der Staat seine umfangreichen Aufgaben
erfüllen und Politik zum Wohle aller Untertanen betreiben. Nach Ockels Verständnis, das er mit vielen seiner Zeitgenossen teilte, standen den Klöstern - wie der gesamten Kirche - weltliche Macht und Reichtum nicht zu. Sie sollten sich um das Seelenheil kümmern; in weltlichen Dingen hatten sie sich der Gewalt des Staates zu unterwerfen. Wie aber sah die Realität aus? Sie verfügten über großen Besitz, regierten über Untertanen wie ein Fürst und hatten sogar ihre eigene Vertretung in der bayerischen Landstandschaft. "Wir von Gottes Gnaden" titulierten sich die Äbte immer wieder, obwohl das nur Seiner kurfürstlichen Durchlaucht zukam und ihnen schon seit vielen Jahren ausdrücklich verboten war. Was für eine Anmaßung! " Wer viel hat, kann viel verlieren", dachte Ockel, "jetzt verlieren sie alles."
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Auf Verbündete
konnten die Klöster kaum noch hoffen. Denn vielen Menschen erschien
das Mönchsleben nicht mehr zeitgemäß. Wo war da der Nutzen für die Gesellschaft?
Vor etlichen Jahren schon hatte Montgelas eine Reform der Klöster verlangt,
um sie stärker für das Wohl der Allgemeinheit einsetzen zu können, aber
geschehen war kaum etwas. Und der Widerspruch: Hinwendung zu Gott einerseits
und Streben nach Macht und Reichtum andererseits erregte ebenfalls viel
Ärgernis. Ockel runzelte die Stirn. Er war gespannt, welche Verhältnisse er hier in Benediktbeuern antreffen würde. Schon häufig hatte er nämlich gehört, dass es auch im Inneren der Klöster nicht zum besten stand, vor allem in den Mönchskonventen. Viele der Mönche standen wohl selbst nicht mehr hinter den alten Idealen von persönlicher Armut, von Gehorsam und Demut. Er konnte es ihnen nicht verdenken. Auch an ihnen war die Aufklärung nicht spurlos vorübergegangen. Aus ihren eigenen Reihen war immer wieder Kritik gekommen, am eintönigen Chordienst, an der Langeweile, die zum Alkoholmissbrauch führte, an der Einschränkung der persönlichen Freiheit. Die Ordensoberen hätten die Kritik ernstnehmen sollen. Nun war es zu spät. Er, Ockel, würde jedenfalls seine Pflicht erfüllen,
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auch Abt Klocker
würde sich fügen müssen. Schließlich war diese Aufhebung nur ein kleiner
Teil der umfassenden Säkularisation kirchlichen Besitzes und kirchlicher
Rechte, die in Deutschland eben durchgeführt wurde. Entschlossen stand er auf und klingelte. Dem herbeieilenden Diener befahl er, ihm seinen Sekretär zu schicken und außerdem einen Mönch zu holen. Der sollte ihn durch die Klosteranlage führen, damit er sich einen Überblick verschaffen konnte.
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