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D’Ehrn – Radizierte Tafernwirtschaft
Finsterau im tiefsten Bayerischen Wald, fast schon im Böhmerwald, hinter Freyung und Grafenau an der tschechischen Grenze gelegen – »finis terrae« – am Ende der Welt. Was soll da schon sein? Einiges: der Nationalpark Bayerischer Wald, touristisches Highlight, Wanderparadies und wichtige Verbindungsregion zu den tschechischen Nachbarn; dann ein sehenswertes Freilichtmuseum, das Museumsleiter Dr. Martin Ortmeier in den zurückliegenden 20 Jahren zu einem richtigen Kulturzentrum ausgebaut hat, Anlaufstelle nicht nur für die Touristen, sondern Treffpunkt der Region.
Ich hatte hier erst wieder zu tun: Das Land der Abtei (das ist das alte Hochstift Passau zwischen Donau und böhmischer Grenze, heute ein großer Teil des Passauer Landes) feierte am 18. April »granitenen« Geburtstag; vor 1.000 Jahren schien es erstmals in Urkunden auf, zusammen mit einer der wichtigsten europäischen Fernhandelsrouten, dem Goldenen Steig. In solchen Fällen ist der Direktor des Hauses der Bayerischen Geschichte (HdBG) als Festredner gefordert. Außerdem findet als Geburtstagsgeschenk des Freistaates in Hauzenberg, Passau und Finsterau unsere erste Bayernausstellung statt: SteinReich zur Geschichte des Steinabbaus und der Steinverarbeitung im Grenzraum zwischen Bayern, Böhmen und Österreich mit reichem Begleitprogramm und erschlossenen »Steinrouten« durch die ganze Region.
Wenn Sie sich auf diese Entdeckungsreise machen, habe ich jetzt den gastronomischen Tipp für Sie: D’Ehrn, alles andere als das übliche Museumscafé, sondern bodenständig, verwurzelt, radiziert eben, von radix = die Wurzel. Ursprünglich meinte das, dass das Bewirtungsrecht auf Haus und Hof lag und nur bei Verkauf an einen anderen Besitzer übergehen durfte.
Besagter Hof befand sich in der Nähe der Ortschaft Dörf l in der Gemeinde Kollnburg im Landkreis Regen. Hier stand an einer Weggabelung d’Ehrn, ein 1840 erbautes, zweigeschossiges Wohnstallstadelhaus, so der häuserkundliche Fachausdruck, will sagen, dass der Stall zwischen Wohnteil und Stadel liegt und alles zusammen unter einem Dach. Wie für den Bayerischen Wald typisch ist nur das Erdgeschoss des Wohn- und Stallteiles gemauert, während Obergeschoss und Giebel als Holzblockbau, der Stadel als verbretterter Ständerbau errichtet wurde.
Zur Ehrn gehörte an ihrem angestammten Platz ein ganzes Ensemble von Gebäuden: ein Schlachthaus, eine Kegelbahn mit einem Salettl, in dem sich die Schützen zu den Gesellschaftstagen zusammenfanden und schließlich der Eiskeller. Bevor Linde die Kühlanlage erfand, kühlte man mit dem im Winter aus den zugefrorenen Seen und Bächen ausgesägten Eis das Bier, um es unverdorben über den Sommer zu bringen. Gebraut wurde erst wieder ab Herbst, wenn das alte Bier ausgetrunken war. Damit ist es lange vorbei. Die Nebengebäude gingen entsprechend verloren, nur d’Ehrn selbst fand 1976 den rettenden Weg ins Freilichtmuseum.
Ich war zuletzt an einem Sonntag in der Ehrn nach meinem Festvortrag in Waldkirchen. Es war der »Kommunion-Sunda« und es ging zu »wia d’Sau«. Oben im Saal waren mindestens drei Waidler-Familiengroßverbände, die Wirtstube im Erdgeschoss ebenso brechend voll mit Kuchenbuffet im kleinen Nachbarraum. In der an die Stube angrenzenden ziemlich kleinen Küche türmten sich Töpfe und Geschirr. Im Stadel spielten die Kinder und die Wirtsleute bewahrten die niederbayerische Ruhe. Ich wurde freundlich an einen der großen Tische manövriert und aß mich durch das Nachspeisen-Angebot. Mit der Nachfrage, woher ich denn käme, war ich schnell familiär aufgenommen. Gewundert hat sich keiner, dass einer, der vorgibt, aus Augsburg zu sein, ziemlich perfekt niederbayerisch spricht. «D’Welt ist hoit kloa und Niederbayern groß.«
Für Atmosphäre und Küche stehen die Wirtsleute Thomas und Ulrike Kröber gerade. Der Museumswirt stammt aus einem Dorfwirtshaus in Hinterschmiding und hat bei seiner Großmutter die böhmischbayerische Küche »kocha glernt«. Nach einer Bäcker- und Kochlehre und Arbeitsaufenthalten in Mühldorf und Berlin – »mei käman d’Weidla umananda« – ist er wieder zu seinen Wurzeln zurückgekehrt, also radiziert. Das zeigt der Blick auf die Tageskarte, die die Wirtin wirklich jeden Tag mit der Hand schreibt: Heinrichsbrunner Rindsroulade mit Wurzelsoße oder Haidmühler Saiblingsfilets mit Riesling-Lauchsoße habe ich vorgefunden. Auf Vorbestellung gibt es außerdem Schweinsbraten von der Bauernsau mit Reibeknödel und Wildgerichte im Raindl. Meine Tischnachbarn aus Grafenau sagten, die seien legendär. Die Küche ist bodenständig raffiniert, denn die Gänsebrust kommt auch mal in Begleitung einer Pflaumensoße oder der Hirschbraten mit Schokoladensoße daher.
Ich konnte davon nichts mehr testen, weil ich für zwei Tage mit Nachspeisen abgefüllt war. Das kommt daher, weil ich aus einer Metzgerei stamme und wie alle »Metzger« eine süchtige Vorliebe für Süßes ausgebildet habe. Der Bauernkrapfen, von den oberbayerischen »Isarpreissn« als Auszogner bezeichnet, kommt lauwarm auf den Tisch und schmeckt hervorragend. Unglaublich war der Topfenstrudel, der nicht mit der üblichen Vanillesoße serviert wird, sondern mit einer warmen Heidelbeersoße: Wien und Prag in Niederbayern! Wer nicht kapiert, warum viele Niederbayern 1871 lieber österreichische Europäer als preußische Deutsche geworden wären, versteht es nach den Nachspeisen in der Ehrn. Kinder sind übrigens gerne gesehen, für sie gibt es Handische Erdäpfelscheitl. Vom Nachbartisch kommt die Frage: »Was is’n das?« – Pommes Frites, alles klar, sind halt aus München. Vielleicht wird es dann doch der Schweinsbraten mit Rabenteller für Null Euro. Mit dem Rabenteller dürfen die Kinder von den Eltern stibitzen; auch schön niederbayerisch.
Also: D’Ehrn ist einen Ausflug allemal wert; am besten mit einem Kurzurlaub im Bayerischen Wald verbinden. Mit unserem kostenlosen Prospekt »STEINREICH in situ« können Sie auf Entdeckungsfahrt ins Moldanubikum (Bayerischer und Böhmerwald, Mühlviertel) gehen. Sie werden überrascht sein. Vor allem sollten Sie sich das Granitzentrum in Hauzenberg mit seinen Steinhauervorführungen nicht entgehen lassen. Infos unter www.hdbg.de.
Text: Richard Loibl