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Schießl Wirtshaus
Knochen haben gern weiche Namen: Henscheid, Zimmerschied, Jonas. Sie sind bundesweit bekannt und bedeutsam, aber in so genannten Provinzstädten groß geworden: Zimmerschied und Jonas in Passau, Henscheid in Amberg. Harte Knochen gehen zum Dichten und Denken gerne in gute Wirtshäuser. In Amberg, heute eine so genannte Provinzstadt, einst aber das Zentrum der Oberpfalz, gibt es noch einige gute Wirtshäuser und noch viele Brauereien, obgleich sich die Zahl in den letzten Jahren fast halbiert hat: von neun auf fünf.
Als Generalkonservator geht man auch gerne in Wirtshäuser, besonders in solche, wo die bayerische Denkmalschutzmedaille an der Gaststubenwand hängt. Das kommt nicht oft vor. Wenn man dann noch auf der Speisekarte etwas lesen will von einer engen und fruchtbaren Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege, die im August 2007 zur Wiedereröffnung des Wirtshauses geführt habe, dann muss man nach Amberg fahren – zum Schießl.
Die eben genannte Wiedereröffnung war deshalb unumgänglich geworden, weil ein Großbrand am 7. März 2004 dem Betrieb ein Ende bereitet hatte. Der Sonderbericht der Feuerwehr schildert den Einsatz von 70 Feuerwehrdienstleistenden, 2 Kdow, 2 LF 16/12, 1 DLK 23/12, 1 DLK 18/12, 1 TLF 16/25, 2 LF 16-TS, 1 LF 8/6, 1 KLF, 1 WLF, ABSLM, 1 Klaf, 1 V-LKW, 1 MZF, 12 Pressluftatmern, 2 Wenderohren,1 B-Rohr, 1 C-Rohr, 910 Meter B-Schlauch, 630 Meter C-Schlauch, 3 Steckleitern, einer Schiebeleiter und so fort. Die Feuerwehren aus Ammersricht und Karmensölden rückten zur Verstärkung an. Das Wasser der Vils reichte, das Feuer erlosch. Schwer beschädigt lag jetzt das Anwesen Nabburgerstraße 8 da.
Im Urlaub wurden Annette und Michael Schießl angerufen: Bei euch brennt es! Wenige Stunden später standen sie vor der Brandstatt und waren zu keinem Gedanken mehr fähig. Dieser Brand, der die spätgotischen Dachwerke vernichtet, die Märklin-Lokomotiven aus der Kindheit des Wirts zu grotesken Klumpen geschmolzen und den Rest der Gebäude, vor allem durch das Löschwasser, stark geschädigt hatte, schien das Ende des Schießl Wirtshauses zu bedeuten. Mit vereinten Kräften gelang das schier Unmögliche, der Schießl erlebte seine Rettung, als Denkmal und als Wirtshaus: ein gastronomischer Phoenix sozusagen. Die Institution macht wieder auf, schrieb die Amberger Zeitung am 27. Juli 2007.
Der Wirtshauskomplex mitten in der Amberger Altstadt stammt, wie die gotischen Türgewände noch heute zeigen, aus dem 14. Jahrhundert, wurde jedoch immer wieder umgebaut. Seit 1617 lag auf dem Haus das Braurecht. Großvater Michael Schießl hatte 1894 die Brauerei und die Gastwirtschaft gekauft. 1994 stellte die Brauerei ihren Betrieb ein; die Gastwirtschaft aber blieb sprichwörtlich in Amberg. Das liegt nicht zuletzt an den Wirtsleuten. Annette und Michael Schießl haben im Gebäude ihre Wohnung. Man spürt, dass sie sich und ihre Gäste als Teil einer Großfamilie betrachten. Dem einen oder anderen Gast ersetzt das Wirtshaus sogar den Beichtstuhl. Der Schießl-Wirt selber hat seine schöne, anstrengende und aufregende Kindheit im Wirtshaus erlebt; seine Frau hat er aber im Studentenwohnheim kennen gelernt.
Die Gaststube ist eingerichtet, wie es sich gehört, über dem Tresen hängen die Maßkrüge (!) der Stammgäste, und im kleinen Hof mit seinen Altanen kann man im Freien sitzen, wenn es das Wetter zulässt. Das Schießl-Bier als solches gibt es leider nicht mehr. Immerhin wird das, was der Schießl ausschenkt, in Amberg gesotten und in seinem Geschmack vom Schießl-Wirt beratend beeinflusst; deshalb heißt es doch noch Schießl-Bier. Auf der Speisekarte hat der Schießl regionale Kost, für meinen Geschmack eher noch zu wenig. Immerhin findet der Gast den Schweinsbraten, die Röstklöß mit Salat, die saueren Bratwürste und die gebratene Bratwürste, die Bauernseufzer, von denen nicht einmal der normale Oberpfälzer weiß, warum sie so heißen. Die Bratwürste standen übrigens schon auf der Schießl-Speisekarte von 1958: 60 Pfennige kostete das Paar; heute 3 Stück 4,80 Euro. Schweinsbraten 1,50 Mark (1958), ein halbes Jahrhundert später 7,50, Euro (2009), eine Maß Bier war 1958 für 91 Pfennige zu haben, 2008 kostet sie 4,80 Euro. Der Schießl als Oberpfälzer Inflationsbarometer zeigt, dass es heute ungefähr zehnmal so teuer ist als vor vierzig Jahren, wenn man ins Wirtshaus geht.
Stammgäste gibt es auch beim Schießl, den Kaiwe-Meier selig zum Beispiel: Ein Busfahrer, der gelegentlich auch einmal ein Kalb (Kaiwe) mit dem zugehörigen Landwirt im Linienbus mitfahren ließ; jeden Tag ging er eine Stunde zu Fuß, um ins Wirtshaus zu gelangen, erwies sich als stets trinkfest und ist 99 Jahre alt geworden. Ja, den Hunderter wollte er beim Schießl feiern – und hat ihn doch knapp verpasst. Den Mesner-Sepp gibt es noch; der zieht manchmal eine kleine Schau ab. Hansi Mausi wiederum ist der Liebling aller Bedienungen, ja überhaupt aller Frauen und kann die Zigarette von hinten rauchen – seit geraumer Zeit leider nur mehr im Freien.
Wer ein gutes Beispiel für die bayerische Wirtshauskultur erleben will, soll also durchaus nach Amberg fahren und ins Schießl Wirtshaus gehen. Im Anschluss könnte er eine Wallfahrt auf den Mariahilfberg machen und beten, dass die Wirtsleute, wenn es einmal so weit ist, Nachfolger finden, die wie sie selber sind. Beim Schießl-Wirt nämlich haben sie zwar Kinder, aber die studieren und wollen, derzeit jedenfalls, keine Wirte werden. Aber vielleicht kommt es anders, so wie beim jetzigen Schießl-Wirt: Der wollte, soweit ich weiß, eigentlich auch kein Wirt werden. Jetzt ist er einer, und was für einer!
Text: Egon Johannes Greipl