Historische Wirtshäuser -> Mesnerwirt
Mesnerwirt in St. Johann
Eingebettet im Chiemgauer Alpenvorland liegt der kleine Weiler St. Johann. Die alte Siedlungsstätte thront malerisch auf einem schmalen Geländerücken über dem Flusslauf der Roten Traun. Nach dem Patrozinium des im Kern romanischen Kirchleins benannt, gilt St. Johann heute ebenso als ein über die Landesgrenzen weg bekanntes Synonym für seine Traditionsgaststätte, den Mesnerwirt. Bereits Lage und Bezeichnung lassen auf eine vom Kirchenbau beeinflusste Hausgeschichte schließen. Schriftlichen Überlieferungen zufolge waren die Wirtsleute über ungezählte Generationen zugleich Kirchenpfleger, eine Tradition, die sich bis heute bewahrt hat. Die unverfälschte Einheit aus Kleinbauernhaus und Schankbetrieb veranschaulicht, dass Gastwirtschaft und kirchliche Hilfsdienste eine landwirtschaftliche Grundversorgung voraussetzten.
Das stattliche Gebäude verfügt über wichtige hauskundliche Merkmale historischer Bauernhöfe des südlichen Chiemgaus. Wohn- und Gaststättenbereich mit rückwärtigem Landwirtschaftsteil finden sich unter einem Dachfirst zusammengefasst. Die Hauptfassade mit ansprechend verzierter Laube schützt ein ausladendes Vordach, das auf mächtigen, aufwendig geschweiften Balkenköpfen ruht. In die Firstpfette sind das Baujahr 1765 und die Initialen der damaligen Bauherren eingeschnitzt. Eine fest montierte Hausbank, klappbare Wandtische und ein dezenter Schaukasten für die Speisekarte laden ohne aufdringliche Werbung zur Einkehr ein. Laut Hauschronik wurde das Schankrecht 1831 auf Branntwein erweitert. Seit 1870 durfte im Mesnerwirt offiziell mit warmen Speisen bewirtet werden. Dagegen brachte allerdings der Pfarrer starke Bedenken vor, weil er befürchtete, die Leute kämen nur mehr in die Wirtschaft und nicht mehr in die benachbarte Kirche.
Der Besucher tritt zunächst in einen großen Flur, der das Erdgeschoss in zwei Hälften teilt. An dessen Ende führen Stufen abwärts zum kreuzgratgewölbten Viehstall, rechter Hand gelangt man über eine schmale Holztreppe in das obere Stockwerk, in dem sich Schlafkammern und ehemalige Gästezimmer befinden. Die vom jahrhundertelangen Hausbrand gedunkelte Balkendecke des Hausflures, reich profilierte Türstöcke und vor allem die in der rechten Längswand angelegte Schürkammer einer alten Feuerstelle geben den Mesnerwirt als ein stattliches Haus der Barockzeit zu erkennen. Ein historischer Pfannenladen und die rechts angebrachte Hausglocke zeugen von einer mit Händen greifbaren Hausgeschichte.
Vom unbeheizten Flur leitet die geschweift durchbrochene Brüstung des Keller abganges links in die große Gaststube. Gerade in kalter Jahreszeit tritt einem sogleich die wohlige Behaglichkeit des von einem alten Kachelofen gewärmten Raumes entgegen. Auch hier zeigen der Herrgottswinkel und ein biedermeierzeitliches Wandkästchen die engen Bezüge zur bäuerlichen Wohnkultur. Die brusthohe Wandvertäfelung mit umlaufender Sitzbank, ein Buffetschrank und eine überschaubare Anzahl stabiler Holztische weisen auf althergebrachte Strukturen der Gaststätte. Die gewachsene Ausstattung stammt im Wesentlichen aus der Zwischenkriegszeit und wurde zuletzt im Jahre 1969 mit den Stühlen und Tischen ergänzt. Alte Familienportraits vormaliger Wirtsleute, alpenländische Jagdtrophäen und das leise Ticken einer Wanduhr rundenden authentischen Charakter ohne Stilbrüche ab.
Die kleinere, rechte Gaststube war ehemals besonderen Gästen und Anlässen vorbehalten. Ihr Ofen war vom Flur zu beheizen, wodurch der Raum im Gegensatz zur großen Gaststube rauchfrei gehalten werden konnte. Auch hier prägen eine mit fein profilierten Leisten strukturierte, barocke Holzdecke, ein zeitgleiches Innenfenster sowie ein Türblatt und Sprossenfenster aus der Biedermeierzeit die gediegene Raumatmosphäre. Vielleicht waren es die wirtschaftlichen Gegebenheiten der letzten Jahrzehnte, mit Sicherheit aber die behutsame Nutzung durch Familie Mader, warum der Mesnerwirt in St. Johann mit allen seinen erhaltenen Bau- und Ausstattungsdetails heute noch ein derart beredtes und auf seine Weise stolzes Zeugnis ländlicher Wirtshausgeschichte Altbayerns darstellt.
Paul Huber