Das Projekt
Die Geschichte des Judentums
in Deutschland ist – nach dem Holocaust – immer eine
Spurensuche. Im Hinblick auf die Geschichte der jüdischen
Friedhöfe handelt es sich um eine Suche im doppelten Sinn. Denn
zum einen sind diese Friedhöfe seit jeher gefährdete Orte einer
Minderheit, die zuzeiten kaum in der Lage war, Ausgrenzung und
Verfolgung zu überdauern. Und zum anderen sind die Spuren derer,
die der Katastrophe des 20. Jahrhunderts zum Opfer gefallen
sind, fast gänzlich ausgelöscht. Allenfalls Mahnmale,
Gedenkstätten, „Stolpersteine“ bewahren die Erinnerung an diese
Toten.
Über dem Eingangstor zum jüdischen Friedhof von
Illereichen-Altenstadt im Schwäbischen erinnert die hebräische
Inschrift: „Den Geborenen zum Sterben – den Toten zum Leben“ an
einen Spruch, der an vielen christlichen Friedhöfen und
Beinhäusern in Europa anzutreffen ist: „Wir waren, was ihr seid,
ihr werdet sein, was wir sind.“ Der Mensch lebt auf den Tod hin,
der neues Leben bringt. Die Toten sind nicht wirklich fort, sie
bleiben anwesend – in der Erinnerung, in der Inschrift der
Grabsteine, an einem Platz, der durch die Unverbrüchlichkeit der
Ewigkeit zur Heimat wird, zur Heimat für ein Volk, dem man immer
wieder in seiner Geschichte die Heimat verweigerte und das sich
dennoch ungebrochen und hartnäckig seine Heimaten schuf. Da der
Friedhof Heimat gewährleistete, auf dem die Familienmitglieder
und die Verwandten begraben sind, ist er auch der „Gute Ort“.
Das hier entstandene Internetportal fußt auf dem in der Reihe
„Hefte zur Bayerischen Geschichte und Kultur“ entstandenen Heft
„Der gute Ort. Jüdische Friedhöfe in Bayern“, das zum einen eine
Geschichte der jüdischen Friedhöfe darstellt, zum andern die
Besonderheiten des jüdischen Toten- und Grabkults
herausarbeitet. Die Kapitel beschäftigen sich mit folgenden
Themen: Jüdische Friedhöfe – Orte voller Geheimnisse und
Geschichten / „Den Geborenen zum Sterben – den Toten zum Leben“
– der Friedhof als Erfahrungswelt / Rechteckig, trapezförmig,
abgelegen, zentral – jüdische Friedhöfe / Regensburg – ein
Friedhof neben dem Schießplatz / Mitten in der Stadt / Gräber,
Grabsteine und Symbole / Grabschmuck / Grabsteine / Inschriften
/ Symbole / Das Taharahaus / Räume und Synergien / Leben,
Sterben, Trauern – vom jüdischen Umgang mit dem Tod / Chewra
Kadischa – Heilige Brüder- und Schwesternschaften / Rituale des
Todes / Scheintodängste und hygienische Bedenken / Särge oder
Asche-Urnen? / Der beschwerliche Weg zum Friedhof / Beerdigung /
Begräbnisgebühren / Trauer und Erinnerung – Schiwe-Sitzen und
Yortog / Erinnerungsnetze: Memorbücher / Geschichte der
jüdischen Friedhöfe in Bayern / Mittelalterliche Friedhöfe /
Kleinstädtische Friedhöfe / Zerstörungen – von Volksfesten und
vom Umgang
der Nichtjuden mit jüdischen Friedhöfen / Würzburg und die
Geschichte eines Schwarzbaus / Geschichten und Legenden: Rabbi
Jehuda he-chasid, Rabbi Amram und der hl. Emmeram / Vertreibung
und Neubeginn / Schwere Zeiten und Notfriedhöfe – das 16. und
17. Jahrhundert / Ruhigere Zeiten / Friedhöfe des 18., 19. und
20. Jahrhunderts / Schändungen, neue Begräbnisse und ein Rätsel
/ Jüdische Friedhöfe heute.
Für die in Bayern bestehenden 111 verwaisten bzw. geschlossenen
jüdischen Friedhöfe stehen jährlich öffentliche Mittel bereit,
die je zur Hälfte vom Bund und vom Freistaat Bayern getragen
werden. Grundlage dafür ist eine von Bund und Ländern am
21.6.1957 geschlossene Vereinbarung, in der man übereingekommen
ist, zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung an Stelle
der größtenteils nicht mehr bestehenden jüdischen Gemeinden für
die dauernde Sicherung und Betreuung der Friedhöfe zu sorgen.
Durch diese Übernahme in öffentliche Obhut können die Friedhöfe
erhalten und die ewige Ruhe der Verstorbenen entsprechend den
jüdischen Religionsregeln gewahrt werden. Der Landesverband der
Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern hat eigenverantwortlich
die konkrete Betreuung der Friedhöfe übernommen. Dabei wird er
vor Ort von den jeweiligen Kommunen unterstützt. Unverzichtbar
ist hier die ehrenamtliche Tätigkeit von Privatleuten, die als
vom Landesverband bestellte örtliche Friedhofspfleger die
regelmäßigen Pflegearbeiten ausführen. Einzelheiten sind in
einer Bekanntmachung des Staatsministeriums des Innern vom 21.
April 1998 (AllMBl 1998, 279) festgelegt. Die begrenzten Mittel
lassen nur die dringendsten Maßnahmen zu, die zur Erhaltung des
Friedhofs und zur Wahrung der Totenruhe erforderlich sind. Dazu
gehören vor allem das regelmäßige Schneiden des Grases, das
Entfernen von störendem Bewuchs, aber auch die Erhaltung einer
würdigen und sicheren Einfriedung und von Leichenhäusern sowie
die Unterhaltung der Zugangswege und das Aufstellen von
umgefallenen Grabsteinen.
Nicht aus öffentlichen
Mitteln finanzierbar ist dagegen die Restaurierung und
Konservierung der Grabsteine. Die Gefährdung der jüdischen
Friedhöfe in ihrem Gräberbestand ist ein weithin bekanntes
Problem, ein Problem, das nicht zuletzt auch im jüdischen
Religionsgesetz selbst begründet ist, das in strenger Auslegung
keinerlei Eingriff zulässt. Während die Geschichte der
christlichen Sepulkralkultur nur noch an den Grabmälern der
Mächtigen und Reichen rekonstruiert werden kann, die als
kunsthistorisch bedeutende Monumente in den Kirchen
überdauerten, bieten die jüdischen Friedhöfe einen
atemberaubenden Querschnitt durch die Grabkultur fast eines
ganzen Jahrtausends, und zwar ungeachtet der sozialen
Zugehörigkeit der Toten. Das Bewusstsein dafür scheint aber –
von Ausnahmen abgesehen – wenig vorhanden zu sein. Vergleicht
man die Fotografien, die Theodor Harburger in den 20er- und
frühen 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts bei seiner
Inventarisierung jüdischer Kunstdenkmäler in Bayern machte, mit
dem heutigen Zustand, so muss man konstatieren, dass in wenigen
Jahren ein fast tausendjähriges Erbe verschwunden sein wird. Für
den Friedhof von Höchberg hat Naftali Bar-Giora Bamberger in
seinem 1991 erschienenen Buch eine umfassende Dokumentation der
Grabstätten vorgelegt und jüngst hat Gisela Naomi Blume den
Alten Friedhof von Fürth mit den heute noch erhaltenen 240
Grabsteinen in Bild, Inschrift und Biografie des Begrabenen
vorgestellt. Mit diesen verdienstvollen Projekten sind zwar die
Grabdenkmäler selbst noch nicht gerettet, aber immerhin ist ihre
Existenz, ihr Aussehen festgehalten.
Christoph Daxelmüller
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