Hanns Hubach: Pfalzgraf Ottheinrich und die Bildteppichproduktion in Neuburg 1539–1544/45
Die Anfänge der Neuburger
Tapisseriesammlung
Dem Pfalzgrafen und späteren Kurfürsten Ottheinrich waren die
Anforderungen fürstlicher Repräsentation und die dabei zum
Tragen kommenden Mechanismen gezielter Bildpropaganda Zeit
seines Lebens bewusst. Entsprechend umfassend hat er sein „Image
der Macht“ sowohl als Bauherr wie auch als Auftraggeber für
Kunstwerke in unterschiedlichen Bereichen und auf verschiedenen
Ebenen zur Schau gestellt, weiter entwickelt und konsequent
gepflegt. Der Erwerb von Tapisserien spielte dabei von Beginn an
eine herausragende Rolle. Dies belegen schon die beiden ältesten
erhaltenen Stücke seiner Sammlung, die Behänge mit der
„Verherrlichung der Prudentia“ und den „Beispielen des guten
Glücks“ von 1531, die eine ideale, auf ethischen Grundwerten
aufbauende Fürsten-herrschaft thematisieren. Allerdings handelt
es sich bei ihnen noch nicht um einen genuinen Auftrag des
jungen Neuburger Landesherrn, sondern um eine für den freien
Markt konzipierte Kurzfassung der berühmten „Los-Honores“-Serie,
die der Brüsseler Hoftapissier Pieter van Aelst für Kaiser Karl
V. geschaffen hatte; in der – wenn auch formal missglückten –
Hinzufügung seines Wappens und seines Porträts ist das Streben
des Auftraggebers nach dem Besitz unverwechselbarer, auf seine
Person und seinen Rang hin zugerichteter Tapisserien jedoch
erstmals greifbar.
Die künstlerische Konzeption und die Arbeit an den Entwürfen der
drei berühmten Porträtteppiche von sich selbst, seiner Gemahlin
Susanna von Bayern und seines Bruders Pfalzgraf Philipp
vollzogen sich dann aber unter den kritischen Augen
Ottheinrichs, der das Projekt seinen Neuburger Hofmalern
übertrug. Stilistische Gründe sprechen dafür, dass nicht der
Lauinger Maler Mathis Gerung sondern sein Kollege Peter Gertner
der Haup-tverantwortliche gewesen ist, bis hin zur Anfertigung
der Kartons. Die hohe persönliche Wertschätzung, die Ottheinrich
diesen gewirkten Bildnissen entgegenbrachte, drückt sich
besonders darin aus, dass er die ent-sprechende „Visirung zu
ainer fürsten dapisserei“, das heißt die Originalentwürfe
beziehungsweise petits patrons, behalten und zusammen mit
anderen Kunstwerken in seiner Schreibstube sicher verwahrt hat.
Gertner zeigt die Porträtierten in ganzer Figur, die Männer
majestätisch, die Frau geziemend im Vordergrund einer weiten,
kultivierten Landschaft stehend, umgeben von zahlreichen, zum
Teil exotischen Tieren und Pflanzen. Auf der mit Girlanden und
übereinander gesetzten Pflanzkübeln geschmückten Bor-düre
demonstriert ein stringentes heraldisches Programm die
hochfürstliche Herkunft der Personen. Die typische Stadtmarke am
Galon des Susanna-Teppichs belegt, dass die Stücke in Brüssel,
dem im 16. Jahrhundert führenden Zentrum der
Tapisserieproduktion, hergestellt worden sind. Die Qualität
ihrer handwerklichen Ausführung genügt höchsten Ansprüchen,
ebenso der verschwenderische Einsatz teuerster Materialien wie
farbiger Seiden, Gold- und Silberlahns. Das uneingeschränkte Lob
des pfälzischen Hofhistoriografen Peter Harer wäre ihnen sicher
gewesen, eines gebildeten Kenners der Materie, dem es beim
Anblick hochrangiger, „mit golt, silber und seyd kostlichst,
er-haben, feyn unnd lustig gmacht(er)“ Tapisserien, aus lauter
Bewunderung schon einmal die Sprache verschlagen konnte. Am
Galon des Philipp-Teppichs ist eine fast voll-ständige
Wirkermarke erhalten geblieben – ein von einem kleinen Kreuz
bekrönter Reichsapfel zwischen zwei Buch-staben, von denen
jedoch nur noch der linke als „j“ zu lesen ist –, die ich dem
Atelier des älteren Jan De Roy zuschreibe. Denn zum einen
verweist der Reichsapfel in aller Regel auf einen König, in
diesem Fall als sprechendes Zeichen auf den Familiennamen des
Meisters, aufgrund der Begleitinitiale „j“, konkret auf Jan De
Roy d. Ä., dessen Werkstatt von 1491 bis 1536 in Brüssel
nachgewiesen werden kann. Zum anderen berief Ottheinrich bald
darauf mit „Meister Christian De Roy“ ein jüngeres Mitglied
dieser Wirkerfamilie als Hoftapezierer nach Neuburg.
Christian De Roy, „deppich wirgkher“
Ottheinrichs Kontakt zu Christian De Roy (tätig von 1539–1545)
ist in den nur spärlich erhaltenen Quellen erstmals 1539 belegt,
als er ihm über das Fugger’sche Kontor in Antwerpen 82 Gulden
für nicht näher spezifizierte „tapezerei“ auszahlen ließ. Die
Entscheidung, in Neuburg ein professionelles Atelier mit
mehreren Mitarbeitern ein-zurichten, muss jedoch früher gefallen
sein, da die regel-mäßigen Mietzahlungen der Hofkammer für die
Unter-bringung von drei „niderlendischen tebichwurgkern“ schon
in jenem Jahr einsetzten. Ottheinrich stand mit diesem
Unternehmen ganz in der Tradition seiner Pfälzer Vor-fahren, die
bereits im 15. Jahrhundert und damit früher als andere deutsche
Fürstenhäuser damit begonnen hatten, auswärtige Wirkmeister fest
an ihren Hof zu ziehen. Kurfürst Ludwig V. beschäftigte zu
Beginn des 16. Jahr-hunderts Meister „Johannes Velthan von
Bruxel in Brabant“, Friedrich II., der ein mindestens ebenso
großer Liebhaber prächtiger Tapisserien war wie sein Neffe, für
mehrere Jahre den aus Nürnberg stammenden Melchior Grienman
(Griemont). In den Jahren von 1540 bis 1544 produzierten
Christian de Roy und seine Helfer in der Neuburger Werkstatt
insgesamt neun großformatige Bildteppiche, deren Programme in
sehr persönlicher Art und Weise Ottheinrichs Leben und die
Geschichte seiner Familie verherrlichen. Ähnlich wie seine
Kollegen am kur-pfälzischen Hof war Christian De Roy sicherlich
noch für die sachgemäße Betreuung der „tapetzereykammer“ und
natürlich für das fachgerechte Auf- und Abschlagen der
Tapisserien verantwortlich.
Der erste mit Sicherheit in der Neuburger Werkstatt
aus-geführte, 1540 abgeschlossene Auftrag betraf die
Her-stellung der vier „Ahnenteppiche“ mit dem väterlichen und
mütterlichen Stammbaum Ottheinrichs und Philipps. Dem Entwerfer,
wahrscheinlich Peter Gertner, ist es gelungen dem spröden Stoff
der Genealogie Leben einzuhauchen. Die Ahnherren und -frauen
sind porträthaft aufgefasst und tragen die ihrer Zeit gemäßen
Kostüme. Die detailreich gestaltete Landschaft, in der sie nach
Generationen ge-staffelt aufgestellt sind, bietet dem Betrachter
ein hohes Maß an Abwechslung. Trotz der Kleinteiligkeit im
Detail schließt sich der Zyklus zu einem imposanten dynastischen
Repräsentationsbild zusammen.
Die folgenden, 1541 fertig gestellten Tapisserien hatten
Ottheinrichs „Raiß zum Heyligen Grab“ in Jerusalem zum Thema,
die er 1521 zusammen mit seinem Hofmeister, acht Rittern und
mehreren Bediensteten unternommen hatte.
Zwei 1543 entstandene Bildteppiche, die Pfalzgraf Philipps
heroischen Einsatz als Kommandant bei der Verteidigung Wiens
gegen die Türken 1529 darstellten, kennen wir nur noch aus alten
Beschreibungen.
Der neunte, 1544 datierte, gegen Ende der Neuburger
Schaffenszeit Meister Christians entstandene Behang, sollte
Ottheinrichs militärische Fähigkeiten ins rechte Licht rücken.
Dies war ein schwieriges Unterfangen, denn anders als Philipp
der Streitbare hatte dessen älterer Bruder weder als Landesherr
selbst Krieg geführt noch jemals ein Truppenkontingent in die
Schlacht geführt.
Alle in der Neuburger Hofwirkerei gefertigten Tapisserien haben
ein gestalterisches Merkmal gemeinsam: Ihre Bor-düren folgen
demselben Muster. Den Grunddekor bildet eine rot, gelb und braun
schattierte Hohlkehle, die mit Festons aus Schilf und
Lorbeerblättern ausgelegt ist, um die sich Blatt- und
Fruchtgirlanden herum winden. In die Mitte der beiden seitlichen
und des unteren Streifens sind von goldenen Lorbeerkränzen
eingefasste Täfelchen ein-gefügt, denen jeweils links das aus
den Initialen Ottheinrichs und Susannas ligierte Monogramm
„OHS“, rechts die Buchstabenfolge „MDZ“ einbeschrieben ist, die
auf das Lebensmotto des Auftraggebers verweist; die untere Tafel
trägt die Datierungen. Darüber hinaus be-setzen bei den nach
1540 entstandenen Teppichen kleine Grüppchen spielender Putti
die unteren Ecken und der Lorbeerkranz mit der Jahreszahl wird
bei ihnen von einem weiteren Paar der kleinen Nackedeis
präsentiert. Die Ähnlichkeit der Bordüren trägt wesentlich zu
dem ein-heitlichen, in seiner Geschlossenheit zugleich
unver-wechselbaren Erscheinungsbild bei, das die ganze Gruppe
der von Christian De Roy gefertigten Tapisserien auszeichnet.
Im Zuge der von den Regenten strikt durchgeführten
Kon-solidierung der Neuburger Staatsfinanzen wurde offenbar
allen Hofkünstlern der Dienst aufgekündigt; jedenfalls
erscheinen ihre Namen nach 1545 nicht mehr in den
Besoldungslisten. Zu diesem Zeitpunkt müssen auch Christian De
Roy und seine Mitarbeiter ihre Werkstatt geschlossen und die
Stadt verlassen haben. Wohin sie gegangen sind, ist nicht
bekannt.
Die folgenden Ausführungen sind die gekürzte Fassung eines
Artikels aus dem Katalog zur Bayerischen Landes-ausstellung 2005
„Von Kaisers Gnaden. 500 Jahre Pfalz-Neuburg“:
Hanns Hubach: „... mit golt, silber und seyd kostlichst,
erhaben, feyn unnd lustig gmacht“. Pfalzgraf Ottheinrich und die
Bildteppichproduktion in Neuburg 1539–1544/45, S. 174 ff. [PDF]